annemarie
Freitag, 11. März 2016
wir für dich
vor der tür angekommen, schauen wir auf das siegel und wissen es muß gebrochen werden.
4 treppen altbau sind wir hinauf gegangen, alle schnappen nach luft.
sieben mal herzschlag füllt den flur, laut und schnell.
auf dem boden steht eine tulpe und daneben blüht eine narzisse auf.
die lieben nachbarn.
in jedem stockwerk gab es vorher noch gemurmel, nun aber geht die wohnungstür auf und wir schweigen,
setzen unsere füsse ganz vorsichtig.
holzstücke, brocken der wände, glassscherben, umgeworfenes und zerstörtes mobiliar,
der geruch.
er legt sich auf uns und wandert in uns.
er ist zu schmecken.
nur ein paar informelle worte sind zu hören, wir wissen, was ein jeder tun kann.
viele stunden arbeiten wir und arbeiten.
die fenster sind weit und neuköln flattert herein.
irgendwann stehen dann 20 weisse tulpen, ein bild lehnt sich an.
urplötzlich geht der computer an, man sieht die zuletzt gehörte musik.
die räume riechen noch streng und doch sind sie voll der intensität unserer liebe,
gefüllt mit freundschaft.
so war das, so soll es sein.

mandelkern

... link (0 Kommentare)   ... comment  (287)


Samstag, 5. März 2016
das wird ein langer brief mein freund,
doch da ich sowieso ununterbrochen in gedanken mit dir rede,
dachte ich mir, mich hinzusetzen und dir zu schreiben, wird mir helfen dich zu verabschieden.
 
 
 
2009
 
am donnerstag um 19:27 rief ich s. an und erfuhr daß du gestorben bist.
an das gespräch erinnere ich mich nicht genau, ich habe einen kleinen blauen fleck am kopf, weil ich ihn an den küchenschrank rangehauen habe, ja ich habe auch laut geschrieen und mein kater rannte mir fassunglos um die beine.
es holte mich zurück, das arme tier.
nun stolpere ich durch die stunden und versuche zu begreifen daß du fort bist.

gestern war ich arbeiten und für einige zeit abgelenkt.
jedoch als ich die ladentür abschloß, fing ich wieder an zu weinen, haben wir uns doch dort das letzte mal gesehen.
wie letztes jahr kamst du zu spät, hast du den laden nicht gefunden;
was war ich froh, als ich - mir schon eine jacke anziehend um loszugehen dich zu suchen - deine hand auf der schaufensterscheibe sah und dann dich, wie du völlig fertig angekommen bist.
und dann hattest du noch eine schwere tüte angeschleppt,
mit meinen töpfen.
diese scheißtöpfe, die mich jetzt zum weinen bringen, wenn ich sie nur ansehe.
und das muß ich dauernd, da ich meine alten entsorgt habe.
und wenn ich sie nicht ansehe, begegnet mir in jedem meiner räume eine gabe von dir.
sei es ein stein, eine kerze, ein bild, mein papierkorb, eine decke,....
ja mein schatz, in 30 jahren sammelt sich einiges an.
30 jahre....
jetzt schaue ich auf den buddha aus holz.
den, den ich von nils geerbt habe, bei dessen wohnungsauflösung wir uns kennenlernten.
wir saßen beide mit gesenktem kopf in der bude rum, weil sich ein paar scheußliche freunde von ihm über die handtücher stritten.
ich hob meinen kopf, mit dem gedanken hier schnell zu verschwinden und sah in deine augen.
ich kann schlecht in den augen anderer lesen, das aber war eindeutig.
wir erhoben uns und gingen.
zusammen.
seit diesem moment sind wir freunde.
wie es das leben so wollte, wohntest du mir gegenüber, ich schaute aus dem 2. stock
direkt in dein zimmer im erdgeschoß.
wie oft habe ich dich an der nähmaschine sitzen sehen, immer wieder deine langen arme zur musik in die höhe streckend und laut mitsingend.
wenn ich lust hatte konnte ich jederzeit zu euch runter und am küchentisch plaudernd meine stunden verbringen.
nicht nur ich hatte urvertrauen, dir ging es auch so.
da du als pfleger schichtdienst hattest, gingen wir auch unter der woche aus, ins so36 ins schwuz und sonstwohin.
aus meiner ehemaligen wohnung in der adalbertststraße bautest du dir mein hochbett ab
und das begleitete dich durch alle deine wohnungen, bis heute hast du darauf geschlafen.
ich empfinde das als symbolisch für die vernetzung unserer leben und für die nähe, die wir miteinander haben konnten.
´89 begann ich meine umschulung und du hast mich so wundervoll dabei unterstützt,
auch indem du nur noch in den ferien mit mir ausgegangen bist.
gegen ende der umschulung bahnte sich meine ehe an, du warst begeistert und fandest a. äusserst sexy.
dein liebesleben war sehr wild und wir haben von anfang an sehr offen über unserer beiden beziehungen, wünsche und bedürfnisse gesprochen.
als wir ergrauten kamen wir dann auch mal auf unsere beziehung,
schauten sie uns gemeinsam im rückblick an, spekulierten was wäre wenn....
du nicht schwul wärst und ob freundschaft nur ohne sexualität möglich ist,
wie wir uns gegenseitig im schlimmsten trennungsschmerz gestützt haben und -
wie wir mit unseren todesnähen und todesängsten umgehen.
dabei entdeckten wir, daß wir wie eineiige zwillinge, stetig zur selben zeit gutes odes schlechtes erleben.
1996 änderte sich unser umgang.
dieses jahr ist für uns zwei ein umbruch gewesen, du bekamst deine diagnose hiv und ich
hatte den unfall.
seit dem sommer 1996 können wir beide nicht mehr gut schlafen;
du aber hast zurückgesteckt und mich die ersten schweren jahre unterstützt und begleitet.
erst als ich wieder wach war, begriff ich was mit dir los ist und konnte dir etwas fürsorge
wiedergeben.
die trennung von deiner großen liebe, mit deinem rückzug in eine neue wohnung,
ach das war schwer für dich.
auch gab es die ersten toten in unserem, mehr noch
in deinem bekanntenkreis; das ließ dich schwermütig werden.
ich hab mich nicht abschrecken lassen, daß du niemanden sehen wolltest, ich versuchte es immer und wieder, auch wenn ich nur für ein paar minuten vorbei kommen durfte.
ich respektierte deine selbstgewählte isolation, wollte dich aber nicht ganz allein dadurch gehen lassen.
es dauerte jahre bis du wieder lebenslust bekamst.
zu den regelmässigen umzügen von a. und mir konnte ich dich locken, du hast jede unserer
und auch die jetzige wohnung, mitrenoviert und gestaltet.
in die jetzige kamst du schon mit a., ihr beide habt mir geholfen.
a. war der beste der dir begegnete, der beste, der dir passierte - so sagtest du das.
mein a. und ich waren so glücklich für dich....
und dann war mein a. auf einmal weg und wieder hast deine hände um mich gelegt hast mich gehalten.
als ich aus dem gröbsten raus war, hast mir gesagt, daß du dir nicht sicher warst, ob ich das überleben werde.
aber du hast nicht lockergelassen, wenn ich niemanden sehen wollte, hast immer gefragt, ob ich etwas gegessen habe und kamst vorbei, auch wenn ich besuch nur für ein paar minuten ertragen konnte.
natürlich breche ich hier an meinem schreibtisch zusammen, während ich unsere freundschaft beschreibe. ich muß pausen einlegen und mich von der tastatur fernhalten, damit sie mir nicht mit salz verkrustet.
ich weiß aber ganz genau mein liebster, daß dir das gefallen würde.
wir beide sind schließlich von nanny fine geprägt;
eine anständige trauer hat nun mal theatralisches.
(ach, nun kann ich nicht mehr zitate beginnen, weil nur du sie beenden könntest.)
wir haben meinen 50en zusammen gefeiert, du sagtest mir, wie stolz du auf mich bist.
ich war mehr als stolz und verzaubert, als ich deinen ersten öffentlichen solo-auftritt besuchte und entdeckte, daß deine stimme und bühnenpräsenz starqualität hat.
vorher hab ich dich bei den rosa cavalieren im chor hören können, aber das ist nicht zu vergleichen.
dann begann dir die luft knapp zu werden.
irgendetwas stimmte nicht, du hattest blaue lippen, eine wächserne hautfarbe und als du mich besuchen kamst, hatte ich einen tag später eine nachricht von dir auf dem ab, daß du heute in die charité mußt.
ich hatte gerade eine mini-chemo hinter mir, war depressiv und des kämpfens müde, deshalb hattest du mich auch besucht.
und, daher hattest du mir deine beschwerden auch verheimlicht.
2012 also eine operation am offenen herzen, mein bruderherz.
die op gelang, hatte aber nebenwirkungen. dir blieben narben im hirn, leichte lähmungen, ach was soll ich das alles aufführen - es war ein elend.
als du kurz vor der narkose abschied von uns nahmst, stecktest du deinen kopf in meine balkonbrüstung und ich wiegte dich. daran muß ich oft denken, weil wir seit dem wieder eine neue
form der beziehung hatten, mehr miteinander schmusten, uns trauten uns nicht nur zur begrüßung in den arm zu nehmen, und das blieb bis zu deinem ende so.
wir sagten uns oft wie sehr wir uns lieben.
ich bin so glücklich, daß du mich liebtest.
du bist mein herzensbruder, eine große liebe in meinem leben,
für immer deine p.

ps: übrigens, ich renn durch die bude, heule und schrei dir zu, ob du mir nich mal ein sogenanntes zeichen senden könntest.
verdammt, denke ich, das ist doch so üblich in großen liebesgeschichten -
und da fing ein riesenfeuerwerk an den himmel zu erhellen, ein feuerwerk nur in weiss und ewig lang.
danke.

mandelkern

... link (3 Kommentare)   ... comment  (608)


Freitag, 4. März 2016
ruhe sanft, ruhe friedvoll bruderherz
mike lotze
mikesch
1962 - 2016

 
 
es ist nicht begreifbar
ich schreie und ich weine als würde ich doch verstehen
mein herz stolpert
wie gerne bin ich sonst allein
doch jetzt überwältigt mich einsamkeit.
ich liebe dich.

mandelkern

... link (1 Kommentar)   ... comment  (310)


Donnerstag, 18. Februar 2016
broken hand
ich bin gefallen, man könnte auch sagen geflogen.
eine steintreppe hinauf, ohne bremse.
zum glück hatte ich einen airbag; man reisst ja instiktiv die arme vor den kopf und ich trug einen vollen müllbeutel mit mir.
der hat zumindest meine zähne und die nase gerettet.
der restliche körper traf zielgenau auf.
die rechte kniescheibe knallte auf den rand, hüfte und schulter dito;
meine linke hand ließ handschuhe und schlüssel nicht los, so traf es mein hangelenk.
und das sieht nicht mehr schön aus.
der bruch ist aber nun ummantelt mit einem schrill-pinkem gips, gehalten von
schwarzem klettverschlüssen.
ich hätte ja gerne gelben gips gehabt, den gibt es aber nicht.
zwei schulunfälle waren vor mir dran, beide mädchen (ca.11 jahre) weigerten sich,
den pinken gips zu tragen.
beide wollten dunkelblau uns schauten entsetzt auf meinen arm.
die ein krückte sich verächtlich schweigend an mir vorbei, die andere meinte
"wähhh, son prinzessin-xxx-(hab ich nicht verstanden)rosa is doch voll eklig!"
ich
"wenn du in mein alter kommst, wirst du das wieder mögen."
sie
"naja nich, det sieht mit so weißen haaren zusammen nich schlecht aus wa?"
ich
"hornisse hätte mir weitaus besser gefallen."
sie verstand mich und wir haben eine runde kichern können.
sie trug noch salzränder auf ihren wangen....

nachdem ich unterrichtet wurde, daß der bruch doch nicht operiert werden muß,
bot ich meinem, mir fremden unterarm, das du an.
wir zwei müssen ja die nächsten wochen miteinander leben.
heute bekomme ich einen großen schraubstock, dann kann ich einiges selber öffnen;
vorgekochtes essen für die nächsten tage und am montag wird mich eine freundin in die badewanne begleiten, jedenfalls am rande.
man ahnt ja nicht, was alles nicht mehr machbar ist.
nun, wie immer hatte ich glück im unglück.
und habe es weiterhin.

myself in many words

... link (4 Kommentare)   ... comment  (627)


Mittwoch, 3. Februar 2016
daß ich das geschafft habe....
55.

myself-in-one-word

... link (10 Kommentare)   ... comment  (783)


Mittwoch, 27. Januar 2016
es sieht schlecht aus zur zeit,
raif badawi ist während seines zweiten hungerstreiks (ohne nahrung und ohne wasser) in eine besondere isolationshaft verbracht worden.
die behörden lehnen jede medizinische hilfe für ihn ab.
keiner hat zugang zu ihm, auch die wöchentlichen telefonate mit seiner frau sind nicht mehr gestattet.
ich denke auch viel an die jugendlichen, über 70 sind es, die auf die vollstreckung der todesstrafe "warten" müssen.
wie hilflos man doch ist.

... link (1 Kommentar)   ... comment  (177)


Montag, 18. Januar 2016
stillgestandene zeit
mir fehlt ein stück meines herzens und gestern fehlte mir die dauerberieselung mit bowiestücken.
na dachte ich - so schnell gehen wir wieder zum tagesschäft über....
aber dann aber dann,
ich legte mich nieder, kuschelte mich an herrn katz, schaltete das radio ein und bekam
eine sondersendung geschenkt.
dabei dachte ich darüber nach, warum dieser künstler mir so sehr fehlt.
lag es daran, daß ich ihn einmal persönlich traf?
nein, das ist irrelevant.
als mensch war er damals still, zurückhaltend und er war ziemlich blau;
jedenfalls auf der einen party, ansonsten war er passant, mitfahrer oder gast im "anderen ufer",
so wie wir anderen auch. ganz unaufgeregt und eben einfach dabei.

das erste mal gehört habe ich seine musik, unter der bettdecke mit einem röhrenradio auf kleinster lautstärke, anfang der 70er jahre.
und ich staunte.
seit dem ist er einfach immer da gewesen.
die west-berliner lebten ja in einem andauernden hausarrest, ohne diesen bewußt wahrzunehmen.
das taten die älteren schon, aber wir waren in diese situation hineingeboren worden und existierten in einem steten vibrieren von bedrohung, inmitten von schuttrecycelten alt- und neubeuten, brachen, historie und den vielbeschworenen nischen.
da wir, wir heisst auch die zumeist ärmeren, nicht hinauskonnten, schwangen wir uns heraus aus dem mief und schwebten von nische zu nische.
ein mensch dem es schlecht ging, fiel nicht besonders auf, depressiv waren wir alle und wer es nicht war, ließ es trotzdem so als ob raushängen.
ohne je direkt darüber zu reden, war uns klar, daß der augenblick wichtig war, jederzeit konnte ein knopf gedrückt werden und wir würden alle zu asche werden.
so 1975 herum schien alles festzementiert zu sein, der status der stadt, das leben darin, der zuckerguß aus braunem kohlestaub; ganz west-berlin war wie ein ewiger kreisverkehr. immer an der mauer lang....
aber die nischen, ja die implodierten.
es kamen menschen von aussen, die einerseits ihre depressive seite ausleben wollten;
andererseits unseren mief und unsere dörflichkeit schicker fanden, als die heimischen.
ich glaube, daß die fremden in der fremde sich eher trauten, gepaart mit dem vibrato der einheimischen, all ihrer kreativität und lebenslust freien lauf zu lassen.
und wir, wir brauchten z.b. die bodenständigkeit einiger westfalen, die kühle der norddeutschen, etc., um nicht immer nur über allem zu schweben.
internationalität gab es zuhauf, allein durch die anwesenheit der allierten, der gastarbeiter
und all denen, die sie mit sich brachten, durch künstler wie zazie de paris, mr. bowie und mr. pop, - um nur einige bekanntere zu nennen.
daß was diese menschen genossen, war in einem alltag zu leben, der städtebaulich arg beengt war, geistig aber ohne grenzen.
musikalisch, literarisch, eigentlich in allen künstlerischen formen war alles möglich.
bevor ich diesen zeitabschnitt zu ausufernd beschreibe, möchte ich auf david bowie zurückkommen.
mir geht es nicht nur um sein berliner leben; es geht mir darum, daß er für mich davor schon existierte, danach, vor kurzem - er war ein mensch, der ausdrückte, was mich und viele andere interessierte.
und das so gut.
ich besitze keine platten oder cds von ihm, wozu auch, dachte ich mir immer. er war ja wie eine selbstverständlichkeit immer mit dabei.
im moment sind die drei berliner alben und die letzten beiden auf dem weg zu mir; jetzt möchte ich nachhören können.
grade die drei berliner sind mir wichtig - es ist immernoch komisch, aus einer stadt zu kommen, die verschwunden ist.
seine musik schenkt mir ein bißchen heimatgefühl.

... link (5 Kommentare)   ... comment  (716)


Montag, 11. Januar 2016
R.I.P.
mr. jones / david bowie
thank you for the music!

... link (2 Kommentare)   ... comment  (297)


Montag, 14. Dezember 2015
einen jahresrückblick
gibt es dieses jahr nicht.
es hat sich bewahrheitet, daß du um so tiefer fällst, je höher du fliegst.

myself in some words

... link (2 Kommentare)   ... comment  (492)


Donnerstag, 29. Oktober 2015
-
einerseits wurde eben bekanntgegeben, daß raif badawi den europäischen sacharow-preis erhält;
andererseits haben die saudis angekündigt, daß er morgen weiter ausgepeitscht/gefoltert werden soll.

... link (3 Kommentare)   ... comment  (301)


Online seit 5767 Tagen
Letzte Aktualisierung: 2024.07.27, 13:34
status
Menu
post
achannemarieatgmx.de
Letzte Änderungen

by sid (2024.07.27, 13:34)
trauer
das finale bild und gefühl zu meinem vater ist...
by ach annemarie (2024.07.24, 19:03)
herzlichen dank. in all...
herzlichen dank. in all dem streß wegen meines...
by ach annemarie (2024.06.16, 09:48)
danke sid. ich brauche...
danke sid. ich brauche noch einige zeit....
by ach annemarie (2024.06.16, 09:43)
vielen dank.
vielen dank.
by ach annemarie (2024.06.16, 09:42)

xml version of this page

made with antville