annemarie |
Sonntag, 24. August 2014
auf der straße 0 / loslösung (1969-1974)
ach annemarie, 13:19h
wir zogen um.
mein bruder und ich sollten ein eigenes zimmer bekommen, auch hatte pa fertig studiert und wir konnten uns eine größere wohnung leisten. ich hatte ihn in den letzten jahren kaum gesehen, er hatte schichtdienst und studierte nebenbei. als schon älterer student war er inmitten der studentischen unruhen und umwälzungen an der uni, aber seinen fachbereich (physik/mathematik/meteorolgie) hat das nicht so sehr berührt. trotzdem war er wach und offen den forderungen der studenten gegenüber, aber er hatte eine familie zu ernähren und beteiligte sich daher nicht. bei uns hieß es meist "psssscht, sei still, pa schläft/lernt!" nun, ich war ja nur zu gerne draußen, habe aber in diesen jahren den kontakt zu ihm etwas verloren. in der umgebung der alten wohnung konnte ich mich erholen; zuerst brauchte ich das nach dem kindergarten, später wegen der schule. im kindergarten fiel ich aus meiner wolkenwelt hinein in das toben und lärmen, spielen und erzogen werden. alles das, was ich nicht kannte oder mochte. die einschulung verfrachtete mich in die vorstufe der hölle, ich war 5 und mit 48 kindern in eine klasse gesteckt worden. es gab kein entkommen, die erste zeit mußte ich mich oft übergeben und wurde nach hause geschickt. das brachte mir aber ärger mit ma ein und ich blieb doch lieber in der schule. ich verstand diese kinder noch weniger, als die im kindergarten und litt sehr unter dem lärm in den pausen. jeden tag nach schulschluss bezog ich klassenkeile, manchmal durfte ich an der hand unserer klassenlehrerin bis zur ersten straßenecke laufen, dann ließen mich alle in ruhe. ich tat ihr wohl leid, sie war nett, aber interveniert hat sie in keiner form. ein einziges mal bat ich meine eltern um hilfe, aber sie lachten und nahmen mich nicht ernst. immerhin wurde ich jetzt satt; ich klaute die ungegessenen schulbrote anderer kinder, bekam milch von den amis und auf dem schulweg gab es eine spezielle art von büschen, deren junge triebe ich mit wonne verschlang. (als erwachsene erzählte ich meinem bruder davon und er war ganz verblüfft, da er genau diese triebe auch gegessen hatte!) auch traute ich mich weiter und weiter von zuhause weg, erkundete die gegend, vor allem die lebensmittelgeschäfte. ich stahl wie ein rabe, wurde jedoch oft erwischt und von der polizei nachhause gebracht. es gab ein gespräch mit meinen eltern, ein gespräch meiner eltern mit mir und langen stubenarrest als strafe. ich mußte kilometerweit laufen, um noch unbekannterweise ein geschäft betreten zu können. aus dieser komplizierten, aber doch vertrauten welt zogen wir in einen riesigen neubaukomplex, nach lankwitz. der bau war nicht fertiggestellt und anfangs teilten sich die hausbewohner, pro haus eine toilette. die wände waren feucht und im ersten sommer haben uns schwärme von mücken gequält. wir balancierten auf brettern zu den häusern; regnete es, war alles voll mit schlamm und es quietschte beim laufen, man verlor auch schon mal einen schuh darin. der ganze komplex war ein herrlicher abenteuerspielplatz für die kinder. die kinder. auf einmal lebte ich mitten unter ihnen. allein sein, das ging nicht mehr, irgendeines fand mich immer. ich versuchte mir bei den gleichaltrigen abzugucken, wie sie miteinander spielten und ging dann zu den kleineren, um das zu nachzumachen. die wollten mich aber bald nicht mehr um sich haben, denn ich spielte nur das spielen und sie merkten das. so fanden mich bald alle komisch und von den gleichaltrigen bezog ich wie gewohnt prügel. in der schule hingegen hatte ich zwar probleme und musste oft die klasse wechseln, aber verhauen hat mich dort keiner mehr. für mich waren die kinder und ihre familien interessante studienobjekte. mit dem umzug wurde es auf einmal bunt, das graue schwere umfeld verschwand. die 70er explodierten von beginn an in einem knallfarbenen konsumrausch, jedenfalls in den anderen familien. ich beobachtete was sie aßen, tranken, wie sie sich kleideten und was sie unternahmen. wackelpudding und rote grütze kannte ich zwar, aber so etwas wie tri-top, kaba-banane oder -himbeere, fertiggerichte und desserts, auch aus dosen!, getränke aus pulver, prickelnde bonbons, creme 12 oder stinkige fa-seife, deodorants die man von weitem roch, solche dinge erstaunten mich. es gab dunkelbraun gebrannte leute, die im tennisdress aus ihren autos stiegen, aber auch ärmliche familien, wie den russen mit seiner vietnamesischen frau und 4 kindern, bei denen ich reis aus einem reiskocher schnorrte. sie teilten immer ihr essen mit mir, reis pur ohne weitere zutaten; die frau goß eine fischsoße, die sonst keiner mochte, über ihre portion. sie lebten in kahlen räumen, ohne teppich, sofa oder anderen möbeln, nur betten und einen tisch mit stühlen besaßen sie. Im gegensatz dazu hatten die braungebrannten wohnungen mit durchmöblierten, teppichschweren räumen. überall flirrten muster, auf den tapeten, vorhängen, tischdecken und auf den lampen. fotos, bilder, kalender und pinnwände - mir schwirrten die sinne. bei meinen eltern war es ein mittelding davon. anfangs noch leer und hallend, zogen langsam und gemächlich möbel, bilder, lampen und teppiche bei uns ein. zu meinem bedauern gab es nie muster, nirgends, alles war ton in ton gehalten. und es gab auch keine fertignahrung oder exotische süßspeisen. war mir das verhalten der kinder untereinander schon ein rätsel, so konnte ich mich nicht sattsehen am familienleben der anderen. da ich mich durch die klassiker der literatur durchschmökerte, wurde mir immer mehr bewusst, wie anders ich war, wie anders unser familienleben war. je älter ich wurde, desto dichter und voller wurde die zeit; mit eindrücken und erlebtem, mit gedanken und gefühlen. als kleines kind waren die tage gleichförmiger, ich lebte mehr im im augenblick. nun vergingen sie mal schnell, mal schleichend und ich lernte die angst vor dem nächsten tag kennen. ich bekam meine erste depression und wusste durch meine lektüre, was zu tun war. ich aß goldregensamen, mir wurde elendig übel und keiner bemerkte es. ich kam aufs gymnasium und hatte einen gewaltigen wachstumsschub. auf einmal sah ich aus wie 16, bekam meine erste blutung und das mit knapp 11 jahren. das ging so rasant bei mir, daß ich nicht hinterkam, innerlich. andauernd wollten mir die jungens, auch einige mädchen, unter den pulli fassen, aber reden wollten sie nichts. ich ließ sie, nein-sagen hatte ich nicht gelernt, und freute mich, ich naives ding, daß jemand überhaupt etwas von mir wollte. im gegensatz zu den anderen familien fuhren wir nicht zusammen in die ferien, ich wurde verschickt. das kannte ich seit ich klein war, trotzdem war es immer eine tortur, denn ich war wieder mal allein unter vielen fremden. als ich nun so frühreif versendet wurde, lernte ich an der nordsee eine dänische fußballmannschaft kennen. sie wohnten im camp neben dem unseren und da ich mit den kindern bei mir nur schwierigkeiten hatte, sagte ich dort mal hallo. einer gefiel mir sehr gut und ich ihm. wir sprachen englisch miteinander, was ich fließend beherrschte, da ma und pa es dauernd zuhause sprachen. er verabredete sich mit mir zu einem nachtspaziergang und so liefen wir im dunklem durch die dünen. in einer der senken waren 2 menschen irgendwie miteinander lautstark beschäftigt und er lachte. da er lachte, lachte ich auch....wir machten rast, er fing an mich zu küssen. dafür daß es mein erstes küssen war, war es wundervoll. mir wurde ziemlich warm und er berührte mich am ganzen körper. komischwerweise gefiel mir das. dann fragte er mich nach medikamenten und ich verstand ihn nicht. the pill - the pill! wiederholte er. dann fragte er mich, wie alt ich sei. dann brachte er mich sofort zurück ins camp. und ich war wirklich sauer, weil es hatte doch versprochen ziemlich interessant zu werden. ich hatte einen echten gentlenman erwischt, er hätte die situation auch anders nutzen können, das weiß ich heute. so verwirrend erging es mir am anfang der 70er jahre. ich war ein seltsames kind, außen mit dem hintern und brüsten einer frau, intern belesen und altklug, aber absolut naiv. aufgefangen wurde ich von den mitschülerinnen meiner gymnasialklasse. eine clique nahm mich unter ihre fittiche. sie hatten alle blonde lange haare, trugen schlaghosen und clogs. ich denke, sie hatten mitgefühl, da ich schlecht und schräg gekleidet war, immer hunger hatte, von nichts (nichts war: musik, männer, mode) eine ahnung hatte. ich bekam klamotten, eine stones-lp und wurde in einiges miteinbezogen. ich durfte sie besuchen, wurde von ihnen ernstgenommen, ohne daß es nach einigen wochen, wie bei meinen sonstigen erfahrungen, ins gegenteil umschlug. am 11.09.1973 wurde in chile geputscht und damit drang die "große" außenwelt endgültig in mein bewusstsein. an diesem tag bin ich politisch erwacht. es gab etliche solidarveranstaltungen in lankwitz und ich mischte dort mit, obwohl ich erst 12 jahre alt war. dabei kam meine altklugheit gelegen und ich fiel nicht auf. mich regte die ungerechtigkeit auf und es ging um die gefühle von anderen, damit konnte ich umgehen. im gymnasium fühlte ich mich wohl, hatte mittlere bis gute leistungen , aber zuhause gab es immer mehr auseinandersetzungen. wie schon in der grundschule haute ich ab, verschwand über nacht und als ich einen neuen klassenlehrer bekam wurde es kritisch. dieser mensch führte mich regelmässig vor und machte es mir schwer weiter gute leistungen zu erbringen. er mobbte mich, bis er es schaffte, daß ich der schule verwiesen wurde. meine eltern und das lehrerkollegium glaubten ihm, natürlich. (später kam heraus, daß er das an all seinen schulen so machte: er suchte sich den sensibelsten schüler und mobbte drauflos, bis er ihn von der schule geschafft hatte. ein elternpaar zeigte ihn an und kam tatsächlich vor gericht, wurde seines beamtenstatus enthoben und der schule verwiesen. er mußte dem klagenden schüler schmerzensgeld zahlen und durfte nicht mehr als lehrer arbeiten.) 1974 kam ich auf die schulfarm insel scharfenberg, die einzige schule in berlin, die ich noch besuchen durfte. ... link (0 Kommentare) ... comment (687) Samstag, 9. August 2014
auf der straße 0 / die ersten jahre (1961-1969)
ach annemarie, 09:35h
1960, mit mir schwanger fuhr meine ma eine lange und anstrengende route aus botsuana/südafrika über den ozean nach berlin zurück. damals war das nur auf einem containerschiff möglich, ohne jeglichen komfort, und so bin ich ein ziemlich seefestes wesen geworden.
geboren wurde ich im noch freien berlin, in kreuzberg. 7 monate später wurde die mauer gebaut. dicht gedrängt lebte ich die ersten monate in einer 2-zimmerwohnung mit wohnküche in der neukölner innstraße; zusammen mit den eltern und 4 geschwistern von ma, meinem bruder und vater. ich schlief im wäschekorb neben dem warmen kohleofen; kam meine tante aus der nachtschicht, nahm sie mich mit auf ihren schlafplatz und hielt mich eine weile in ihren armen. sie war es auch die bemerkte, daß ich schwer erkrankt war, daher kam ich in die kinderklinik-baracken in der königin-elisabeth-str. in charlottenburg. ja, ich zog von beginn an durch die stadt, meiner meinung nach habe ich es in den über 50 lebensjahren zum mindestens 1x wohnen in jedem der west-berliner bezirke gebracht. nach der isolation und zwangsfütterung in der klinik; die ärzte dachten an etwas exotisches, das ich aus afrika mitgebracht haben könnte und reagierten panisch; kam ich nach hause und das bedeutete in eine eigene wohnung, im gardeschützenweg, berlin steglitz-lichterfelde. sir war in einem wiederaufbauhaus, auf einen alten keller gesetzt, an dessen wänden noch luftschutzhinweise gemalt waren und mit schwerfallenden eisentüren, die die hauskeller voneinander trennten. zum müll raustragen, meiner haushaltlichen aufgabe, mußte ich ihn durchqueren und lernte rasant schnell und gut pfeifen. ich habe heute noch träume die in ihm stattfinden. laufen lernen war für mich eine leichte kür, ich wollte raus und immer nur raus. anfangs nur in den verborgenen hof, der mit klopfstange neben den mülltonnen (ideal für einzelgummitwist) garagen und asphaltfläche zum einparken, aber auch mit birnbäumen, vogelbeeren, himbeersträuchern rund um eine große wiese ausgestattet war. einen buddelkasten mit eisernem raketengerüst gab es und daneben meinen lieblingsplatz, die alte birke dicht an einem fliederbusch, in dessem inneren ein baumstumpf saß. die birke war ideal zum hochklettern und ausguck absolvieren, der busch zum verbergen. niemand ahnte, daß dort jemand hockte und aus einzelnen fliederblüten den nektar saugte. das schönste war, es gab keine anderen kinder, nur 3 sehr viel ältere, die schon zur schule gingen. ich hatte alles für mich allein, den angrenzenden kindergarten beachtete ich nicht, das war ein anderes universum. so war ich sehr glücklich und mit den ansteigenden lebensjahren wagte ich mich immer weiter aus der deckung. als erstes entdeckte ich die ruine, direkt neben dem hof. sie war zwar eingezäunt und trotz des absolutem verbots dort hineinzugehen, quetsche ich mich durch den draht, bestaunte die jungen bäume, die sich inmitten halber wände breitmachen, an einer noch hohen außenwand rankte efeu und ich rätselte sehr lange, warum und wozu es dort leere fensterhöhlen gibt. bis ich erkennen konnte, daß das mal ein 3stöckiges, aber recht kleines haus gewesen war, von dem noch 1 ganze und eine halbe aussenwand stehen, innen aber nur noch das erdgeschoß mit kniehohen mauerresten existierte. in einer der wände war ein teil einer tür erkennbar und ich durchsuchte akribisch den schutt, bis ich einen großen schlüssel fand. den es heute noch gibt.... ich wurde nicht entdeckt, die strassen, das viertel, die stadt ist ruhig. in den ersten jahren nach dem mauerbau fuhren wenig autos, kaum lastwagen und die menschen waren angespannt, still. die automobile sind einzeln wahrnehmbar und wenn ein fuhrwerk naht, hört man schon lange, bevor man es sieht, das klappern der hufen. ich kann bald unterscheiden zwischen den kaltblütern der bierkutscher, den der bolle-milchwagen und den anderen pferden der trauergespanne und hochzeitskutschen. fasziniert bin ich am meisten von den bierkutschern, ihre pferde kommen mir riesig vor und sie haben neben den augen einen interessanten schwarzen sichtschutz, auf ihrem rücken liegen lederne decken, ihr schnauben ist feucht und laut. kein pferdeapfel bleibt lange auf dem kopfsteinpflaster, sofort ist jemand mit kleiner schippe und zeitungspapiertüte da und sammelt sie ein. ein guter dünger für den garten, lerne ich. die hochzeitskutschen wurde von schlanken, weißen pferden gezogen, denen eine schwarze decke umgelegt wurde, wenn sie vor das gestell für einen sargtransport gespannt wurden. ab und zu knatterte ein motorrad, die straßenbahn klingelte. ihr betrieb wurde ´65 eingestellt und es wurde noch ruhiger, doch zu sehen hatte ich noch genug. meist balancierte ich am rinnstein entlang, roch zigarrenrauch und wenn ich mich umdrehte hing daran ein mann mit hund. es gab so viele männer mit hund und alle hatten etwas besonderes. seit ich unserem hauswart ins gesicht fassen durfte um seine tiefen krater zu berühren, mir dabei erklärt wurde, daß er als flieger abgeschossen worden ist und die narben dabei enstanden, war ich am sammeln dieser zeichen des krieges. mir kam es so vor, als wären die strassen voll mit dem rauch von herrchen und hund, frauen verblaßten mir schnell denn sie rochen nicht und führten meist kleine pudel, möpse oder spitze. aber die männer, die hatten buschig schwere schäferhunde, solche mit noch hohen rücken und vor lauter fell fast unförmig; chow-chows mit blauer zunge, schwarze königspudel, airedaleterrier, riesenschnautzer, seidig glänzende langhaardackel - alles arten die man heute kaum noch sieht. dazu der stumpengeruch und zum sammeln die verletzungen aller art. ich erinnere mich an den mann mit den auf einer seite zerdrückten kopf, an etliche einarmige und die einbeinigen mit holzkrücken unter den achseln. augenklappen waren recht häufig und einer rollte beinlos auf einem gerät, das aussah wie ein abgesägter stuhl ohne lehne, dafür mit rädern. die besser betuchten hatten rollstühle, die sie mit schwingenden weit ausholenden armen antrieben. die folgen des krieges waren sehr sichtbar und blieben es länger als sonstwo, da durch den mauerbau ein stillstand in der stadt herrschte. bis 1967 gab es kaum bis gar keinen güterverkehr für west-berlin, bis das wieder lief mußte improvisiert werden und kleingärtner waren äusserst beliebt. ruinen blieben stehen, wiederaufbau oder neubauten konnten wenn, dann nur aus dem vorhandenen schutt errichtet werden. noch bis in die 90er jahre konnte man die maschinengewehreinschläge in den häuserfronten erkennen, z.b. in der gallwitzallee in lankwitz. die menschen waren durch kennedys besuch beruhigt, aber sie wußten nicht was wir heute wissen, sie hatten angst wie und ob es überhaupt weiterginge. extrem laut wurde es manchmal, wenn z.b. ein hoher besuch, eine wahl oder ein anderes öffentliches ereignis anstand, dann flogen die die russen mit ihren migs dicht über die dächer oder so schnell daß sie schallmauer durchbrachen. die alte mutter meiner hauswartsleute fing dann an zu jammern und zu klagen, manches mal sogar an zu schreien, sie hatte als flüchtling todesangst vor den russen. mich steckte die allgemeine angst an und wenn dann die luftschutzsirenen losheulten, man nur noch geduckte hastende rücken auf der straße sah, alle mit ernsten mienen, dann kann das anstecken. angst, meine muttermilch. nahrungsmittel waren knapp, angeboten wurde nur regionales und saisonales, es gab brot, milch,quark und käse, kohl und rüben, kartoffeln, äpfel, birnen und kirschen - alles andere war unerschwinglicher luxus. so um ´68 herum durften die laster wieder durch den transit rollen und ich erinnere mich an die szene, daß jemand aus unserem haus weinend einen dicken blumenstrauß vor sich hertrug, es konnten wieder schnittblumen gekauft werden. ma machte öfter aus geschenkten fallobstäpfeln apfelmus und noch bis ´67 bekam ich ich in der grundschule von dem amis gespendete milch. um die wenigen schokoflaschen dabei gab es regelmässig keilereien. der kontakt mit den soldaten war alltag, wir hatten unseren schwimmunterricht in der nahen kaserne und regelmässig rollten die panzer durch die straßen. pa fand arbeit auf dem flughafen tempelhof; anfangs, bevor sie paranoid wurden, durfte er mich manchmal mit hin nehmen und ich erinnere mich genau an den netten soldaten der mich hochhob, in den lastwagen stellte und ich konnte mir so frische weintrauben aus einem sack nehmen. meine ersten.... sie schenkten mir vanilleeis in rechteckkartons und immer wieder hoben die uniformierten mich an, schleuderten mich wie einen kreisel und freuten sich mit mir. blutjunge gis, damals kamen sie mir vor wie ein wald der laufen kann, so groß, manch einer wunderbar dunkel und alle so stark. glück bestand nur aus kurzen sequenzen, das lernte ich schnell. die jahre bis zu den ersten abkommen, die eine regelmässige versorgung des westteils der stadt ermöglichten, waren voll mit schreckmomenten, mit großen kundgebungen, auf denen alle herzen gleichartig zitterten, mit kerzenlicht in allen fenstern und auch der schmerz der trennung einzelner familien durch die mauer war spürbar. die situation in der wir lebten, die ständig neu definiert wurde und die sich von einem tag zum anderen brachial ändern konnte, schwang stets mit, war immer dabei, egal was man tat, egal wo und mit wem man saß, egal worüber man redete. sie war der schwankende boden auf dem jeder westberliner stand. zu beginn wurde noch nicht überall eine mauer gebaut, es gab gewisse orte die mit stacheldraht begrenzt und bewacht wurden. einer dieser orte war ein feld am stadtrand, in frohnau. dort wohnten die eltern von pa und mein bruder ich spielten in diesem, wir aßen die reifen weizenkörner und bewegten uns mehr und mehr richtung grenze. natürlich, wir waren beide kleine kinder, war uns das nicht bewußt, ja, wir sahen den draht erst als wir davor standen und im gleichem augenblick von den grenzern angerufen wurden. die waren nicht besonders agressiv, jagten uns aber einen gewaltigen schrecken ein. sie waren sichtbar bewaffnet und in uniform, das nun verstanden wir. es ist nichts weiter passiert, doch werde ich das nie vergessen, die soldaten hätten auch anders reagieren können. als wir zur familie zurückkehrten hat uns übrigends niemand so recht geglaubt. so lebte ich als kleines ding in einer für mich sepiabraun getönten umgebung, die straßen voll mit versehrten aus den 2 kriegen, durchtränkt mit einer stimmung die den tag lobt, an dem nichts weiter passiert und in angespannter erwartung ist ob des nächsten, mit dem rasseln mich schützender panzer, dem knallen der migs, in einer hand ´ne flasche amimilch in der anderen ´ne murmel. irgendwie kind, irgendwie nie richtig kind gewesen. ... link (9 Kommentare) ... comment (1108) Freitag, 11. Juli 2014
kreuzberg erste heimat“ / 1984-89
ach annemarie, 14:12h
bevor ich beginne muß ich erst einmal tief luft holen und und meine versuche seßhaft zu werden herauslassen.
diese versuche führten mich durch fast alle west-berliner bezirke, ich habe nie jemanden getroffen, der sooft wie ich umgezogen ist. aus mariendorf zog ich in den wedding, nach neukölln, kreuzberg 61, friedenau, britz-süd, schmargendorf, tegel, buckow und auch gleich nach rudow, hermsdorf, spandau, lichterfelde und ein kurzes intermezzo hatte ich in kladow. in so36 gab ich ich mir in einigen wgs kurz die ehre. allerdings war ich nur mit einem koffer und einigen tüten auf achse; der rest des mobiliars aus moabit war eingelagert. ich bezog meistens ein zimmer, manchmal auch nur ein bett bei jemanden. es gab einen versuch eine eigene wohnung zu beziehen, diese ist mir hier eine kurze beschreibung wert. die wohnung, 1 großes zimmer und 2 mit rigipsplatten abgetrennte kammern, lag auf der ecke adalbert/waldemarstraße, im 4.og. es gab keine heizung, die toilette funktionierte nur wenige monate, dann hieß es improvisieren. es gab kaltwasser, was für ein glück. ich war nicht der hauptmieter; wer das war ist mir bis heute nicht bekannt. manches mal hatte ich 2 mitbewohner, die mir ebenfalls unbekannt waren, manches mal nur einen. ich zog abwechselnd von der einen kammer in die andere und war glücklich, daß es niemand lange aushielt - dann hatte ich die wohnung wieder eine zeitlang für mich. ich suchte verzweifelt eine eigene wohnung und mir wurde ´84 der tip gegeben, mich bei dem hauswart in der waldemarstraße xx zu melden. aus dem melden wurde ein abend bei schnaps an mit essen überladenen tischen, ich war in eine türkische großfamilie und das fastenbrechen hineingeraten. leicht schwankend und total übersättigt schaute ich mir nachts die wohnung an und war begeistert; ein zimmer mit einem ziemlich neuen hochbett, das bad mit wanne, eine küche mit herd und waschbecken. alle räume frisch renoviert und dann die gastherme! ....zum träumen schön. mustafa, der chef des clans, empfahl der besitzerin an mich zu vermieten und nach einer vorstellung bei der alten dame, die mich streng nach meinen zukunftvorstellungen, meinem arbeitswillen, was mein vater so tat und ähnlichem befragte, kam das ok. da die wohnung leer stand konnte ich sofort einziehen. so kam mein kleines kinderregal, mein koffer mit kleidung, meine bücher, ein alter hölzerner schulschreibtisch und etwas geschirr mit mir dort an. eine freundin schenkte mir eine matratze und ich holte das bei meiner omi gelagerte malwerkzeug. ich war überglücklich, ich erinnere mich, wie ich alles versuchte zu umarmen, sogar die wände, die türen und die erste nacht nahm ich die haustürschlüssel mit ins hochbett. mit allen sinnen war mir bewußt, daß ich das leben auf der straße und das "herumschlafen" vergangenheit sein würde, daß ich bleiben konnte. das war auch dadurch möglich, daß das sozialamt die kosten meines lebens bezahlte. ich war inzwischen körperlich am ende, die letzten jahre "unterwegs" und etliche operationen forderten ihren tribut von mir, ich war auf unterstützung angewiesen. die ersten sachbearbeiter habe ich erfogreich verdrängt, dann aber wurde ich einer frau h. zugeteilt, der ich bis an das ende meines lebens dankbar sein werde. doch dazu später. es begann nun eine wunderbare lebenszeit, nicht nur wegen der wohnung. ich wurde von der hauswartsfamilie mit in ihr leben genommen, was dazu führte, daß ich zunahm und mich sicher, ja geborgen fühlte. sie akzeptierten mein enormes rückzugsbedürfnis, meine wechselnden liebhaber, meinen lebenstil - sie akzeptierten mich so wie ich war. sie lebten in mehreren wohnungen in dem haus und heiratete eines der kinder zog es nach möglichkeit auch in eine freie. ich freundete mich mit mustafas tochter an, sie war in meinem alter und ein warmherziger mensch. wenn sie kochte und ihr mann, der als asphaltierer massen verschlingen konnte, genug übrig ließ, brachte sie ein töpfchen ins hinterhaus zur der alten dementen frau, um die sich sonst keiner kümmerte. einmal im monat putzte sie auch deren wohnung. mich hatte sie gerne bei sich und fragte mich immer aus; sie wollte alles wissen, von mir, von früher, wie ich gedacht hatte und heute dächte, was ich vorhätte und so weiter. ich glaube, sie war sehr isoliert und ich brachte ihr das leben "draußen" und deutschland näher. ihr vater lebte schräg über mir, mit einer zweiten ehefrau und 2 gemeinsamen kleinen kindern und einer älteren tochter der zweitfrau und deren erstem mann. ja, das war am anfang auch für mich sehr verwirrend, denn mustafa hatte mit seiner ersten frau 6 kinder, von denen etliche mit ihren familien im haus wohnten. die ur-mutter war zurück in die türkei gegangen. die zweitfrau wurde von seinen kindern nur kühl geduldet, am schlimmsten war die situation für die tochter dieser frau. sie klingelte oft bei mir an, um eine zigarette zu erbitten und ein wenig zu reden. es ging ihr meistens nicht gut, aber sie sprach nie direkt darüber, warum das so war. (viel später gestand mir einer der söhne von mustafa, daß alle männlichen familienmitglieder dieses arme mädchen missbraucht hatten. ganz so heile-welt wie ich es sah, war es also nicht.) links neben mir wohnten 4 türkische männer, alle ohne ihre familien, alle bauarbeiter und konservativ religiös. da ich alles hörte was sie taten, nahm ich an, daß es anderherum genauso war, aber sie waren immer freundlich und extrem hilfsbereit, trotz meines für sie bestimmt nicht verständlichen lebenstils. ich fing wieder an zu malen und zu schneidern, kaufte beim trödler das eine oder andere schöne, bekam meine erste eigene pflanze geschenkt und blühte mit ihr zusammen auf. ganz oben wohnte u., mit mir eine der berliner im haus. sie hatte einen freund, der so viel jünger als sie war, daß ich zu anfang vermutete es sei ihr sohn. (ich könnte vom stuhl kippen vor lachen, 30 jahre später erging es mir ebenso....) sie lieh mir viel politische literatur und verhalf mir zu einem putzjob im stadtteilladen gegenüber. dort traf ich alte bekannte aus dem turm wieder und mußte mir einiges anhören; ich erinnere mich an eine situation besonders gut: ich stand nach erfolgreichem putzen an die hauswand gelehnt und rauchte, der boden sollte trocknen und ich musste mich ausruhen. meine krücken lehnten neben mir und ich hielt mein gesicht wohlig in die sonne. ein typ hielt an, ging rein, kam raus, ging rein - ich hatte ihn erkannt, er mich nicht; er war unsicher, ob des offenen ladens und wer ich war. ich begrüßte ihn mit namen und dann fiel auch sein groschen. nach kurzem hallo fing er an mich auszufragen, (früher habe ich jedem jede frage beantwortet, ich dachte man macht das so), hörte sich an was ich erzählte und machte mit dann vorwürfe. wie ich es wagen könnte, vom "scheißstaat" zu leben? meine replik, mit verweis auf die krücken, ließ ihn zornig werden. es gäbe das heilehaus, wenn man krank sei und ich bräuchte nicht die miete vom sozi, da ich ja in eine wohngemeinschaft, bzw. in ein besetztes haus ziehen könne. ich stritt mit ihm, war halb eingeschüchtert halb sauer, schloss den laden zu, ließ ihn stehen und ging nach hause. kurze zeit später hatte ich hundekot auf meiner türmatte, ertrug nächtliche klingelstürme und es flogen steine in meine fenster. nicht nur mir erging es so. an der ecke waldemar-adalbertstraße hatte ein lesbisches paar eine spanische weinhandlung aufgemacht. ich kannte eine der beiden, sie war mit mir auf dem letteverein gewesen. sie wohnten hinter ihren ladenräumen und mussten dasselbe aushalten und noch einiges mehr. bei ihnen ging es soweit, daß sie regelmäßig überfallen wurden, bis sie schließlich aufgaben, den laden dicht machten und wegzogen. ich bereute meine naive offenheit und hatte keine ahnung, wie es weitergehen sollte....bis mir meine sachbearbeiterin einen vorschlag machte. sie nahm anteil an meinen bemühungen wieder körperlich fit zu werden und ließ mich durch etliche institutionen laufen, welche mich prüften und testeten. ich hatte ja keine ausbildung und war durch die arthrose nicht für normale jobs geeignet. so bekam ich das erste mal in meinem leben ein bild meiner fähigkeiten gezeigt, welches mich verblüffte. frau h. wusste ganz genau, wohin sie mich langsam aber sicher bringen wollte, in eine reha-umschulung. sie unterstützte mich auch, als ich ihr von den vertreibungsversuchen erzählte und so konnte ich 1989, passend zum beginn der ausbildung, nach schöneberg ziehen. ich liebte meine wohnung, nachdem mir a. aus dem rauchhaus eine anlage und viele platten geschenkt hatte, konnte ich sogar musik hören. zwar klang es ein wenig wie aus einem telefonhörer, da ich nur eine box hatte, aber immerhin. ja! ein telefon hatte ich auch, mein erstes. meine omi schenkte mir einige möbel und ich hatte ein stück teppich für den steinboden bekommen. mein zimmer lag über der tordurchfahrt und ich hatte immer kalte füße. am liebsten hätte ich die wohnung als ganzes mitgenommen und die umgebung den fanatikern dort zurückgelassen.... aber ich wusste ja noch nicht, was in berlin 30 schönes auf mich zukommen würde. ... link (0 Kommentare) ... comment (611) Samstag, 7. Juni 2014
von der straße in die erste eigene wohnung:
ach annemarie, 17:55h
meine erste wohnung hatte eine ofenheizung und mein bruder zeigte mir, wie ich das anfeuern zu bewerkstellen hätte:
ein bißchen anmachholz, zeitungspapier und zwei, drei briketts die mit zeitung umwickelt sind obendrauf. und dann alle klappen fest zu. ich wunderte mich oft über meinen tiefen schlaf und meine nicht enden wollende müdigkeit. zum glück wohnte unter mir ein schwerstalkoholiker, der lautstark nach kontakt mit mir verlangte und ich vermute der ofen hatte durch undichtigkeit genug durchzug. mein einzimmer mit bettnische, bad und küche lag im ersten stock in der rostocker ecke wittstocker straße. angemietet hatten sie meine eltern, da der besitzer ein bekannter meiner omi war. ich besaß ein bett, einen tisch plus 4 stühle und ein kleines regal. mein bruder schenkte mir geschirr, ein kühlschrank war schon vorhanden. zu meiner freude gab es einen riesigen warmwassserspeicher im bad, da ich alle wäsche mit der hand wusch, froren mir nicht die finger ab. ein telefon, plattenspieler oder ein radio besaß ich nicht, das regal füllte sich aus dem halben koffer kleidung und meinen kinderbüchern. nachdem es beschwerden beim hausbesitzer gab, daß man mich nackt sehen könnte, nähte meine mutter mir lange nesselvorhänge. die klagen kamen vom haus gegenüber, die leute beobachteten mich ausgiebig. dadurch und wegen der sperenzchen des mannes unter mir, fühlte ich mich dort nicht wohl. es gab nur einen netten menschen im haus, den herrn horn neben mir. drei der eckhäuser der kreuzung waren bestückt mit kneipen und so wurde es, je später der abend, regelmässig laut auf der straße. die stammgäste begegneten sich beim versuch den weg nachhause zu finden und sie fanden sich gegenseitig alle herzlich unsympatisch. es gab eine gehobene arbeiterklasse, die mit schlips und ohne frau zum trinken ging, die mittlere ging ohne schlips aber mit frau und die proleten soffen ohne alles. ich paßte in keine der kategorien und wurde, je punkiger ich aussah, von allen gleichermaßen verachtet. neben herrn horn hatte ich aber doch eine zeitlang einen freund in der straße; den schornsteinfegermeister. als ich ihn das erste mal sah; besser sein dreiradauto sah; und beobachtete wie sich anstelle einer tür, die autodecke nach oben öffnete und ein schwarzes etwas herauskletterte, mußte ich laut lachen und er dann auch; schon kamen wir ins gespräch. er war ca. 10 jahre älter als ich, junggeselle und trug sein langes haar zum pferdeschwanz gebunden. er wollte mich immer zu sich einladen oder von mir eingeladen werden, ich aber ließ ja niemanden in mein refugium und verstand auch nicht, daß er annäherungsversuche unternahm. irgendwann gab er auf und das verstand ich natürlich auch nicht. einige häuser weiter wohnte ein kleiner kugelrunder franzose, der sich mit travestieshows durchschlug. auch ihn lernte ich auf dem gehweg kennen, zwei so bunte wesen wirken magnetisch aufeinander. meine annahme, daß er aufgrund seiner berufswahl auch schwul sein muß, erwies sich als falsch, irgendwann hing er einige nächte an meinem briefschlitz und jammerte so lange nach mir, bis die nachbar einschritten und ihn aus dem haus warfen. während dieser vorstellungen saß ich zitternd in meiner bettnische und betete, daß er nicht mitbekam, daß ich anwesend war. ich verstand das alles nicht. "das" waren die männer, nun hier geht es ja um die wohnung, also ergibt das eine andere geschichte. im vierten eckhaus befand sich ein kleiner lebensmittelladen, in dem ich mir einmal im monat lungenhascheé, ein halbes pfund kartoffeln und frische petersilie kaufte. einmal im monat ein warmes essen, das war herrlich. mit meinen 215.-dm hatte ich nicht nur die monatskarte für den 23er und die u-bahn zum letteverein hin zu begleichen; ich mußte davon auch die erforderlichen materialien für den unterricht bezahlen. daher fuhr ich aus des öfteren nach ost-berlin um dort so preiswert wie möglich einzukaufen. noch heute besitze ich zwei aquarellblöcke (langsam zerbröselnd und absolut vergilbt), spezielle lineale und zirkel und einen haufen pastellkreiden aus ddr-produktion. und ein plastikpuppengeschirr zum mischen der tuschen, das hält für die ewigkeit! vor meinem fenster bretterten autos über das kopfsteinpflaster, unter mir liefen entweder volksmusik oder hasstiraden gegen meine person - ich fühlte mich bedrängt, beobachtet und ständigem lärm ausgeliefert. daher ging ich so viel wie möglich nach draussen. in der woche gab es den täglichen schulbesuch, am wochenende besuchte ich neue bekanntschaften, die fotographen und modedesigner aus dem letteverein. der u-bahnhof turmstraße war gefühlte 100km weit entfernt, aber ich hatte um die ecke den s-bahnhof beusselstraße. mitte/ende der 70erjahre war der s-bahnverkehr stark ausgedünnt, die bahnsteige waren fast immer menschenleer und es gab am späten abend - entgegen der heutigen meinung - dort kein personal für die abfertigung. die beste s-bahnfahrt meines lebens erlebte ich in einer verschneiten winternacht 1979. ich hüpfte mit meinen pumps (ich besaß kein winterstiefel) fleissig gegen den frost am boden und wartete mutterseelenallein auf den zug. mir war es nicht geheuer, schnell noch eine für die fahrt drehen, irgendwie ablenken.... denn in den wintermonaten dieses jahres häuften sich die überfälle und vergewaltigungen in der s-bahn. in ihren zügen, nicht unbedingt auf dem bahnsteig. oft war man am abend mitten in der woche alleiniger fahrgast und leichte beute. der zug fuhr ein, rauschte an mir vorbei und ich sah keine weiteren menschen in ihm. ich öffnete eine der türen und wollte einsteigen, als mich eine lautsprecherdurchsage innehalten ließ. ich hatte zuerst nichts verstanden und fühlte mich nicht persönlich angesprochen. wieso auch? einen fuß im waggon einen draußen hörte ich dann, daß ich mich "jefällichst zum zugführer zu bejeben hätte, froillein" komische sache, komische stimme - was wollte der kerl von mir? der schob noch ein "aba dalli!" nach und ich konnte garnicht anders, als diesem befehl folge leisten. überraschung! im führerhaus saß eine stämmige frau, gesegnet mit einem bartwuchs, um den sie manch ein kerl beneidet hätte und ihre stimme führte zu verwirrung in sachen geschlechtszuordnung. sie forderte mich auf mich neben sie zu setzen. "ob ick nüscht davon jehört hätte, wat so des nächstens passiern könne, so alleene inne bahn?" und "et jinge ja janich, daß sie spacket ding alleene in meenen zug sitzen und ick hab denn dit theater, wa?" ick setzte mir. und sie, nachdem sie zuende schwadroniert hatte, erzählte und erzählte. fragte mich aus und als sie mich für dessen gut befand holte sie aus einer aktentasche eine große schachtel "mongscherie, wolln se?" und teilte. und erzählte. allein der blick aus dem fenster und das durchpflügen des schneefalls waren schon gute gründe zum verlängern meiner fahrt, aber dann noch mongscherie! ich liebe das zeug und ich versuchte so weit wie möglich mitzufahren, um so viel wie möglich davon zu naschen. das hat auch recht prima geklappt, auch wenn ich ganz woanders als geplant gelandet bin; ich bin heute der frau noch immer dankbar, daß sie mich schützen wollte und mir eine herrliche, leckere fahrt ermöglichte. mit dem abbruch der ausbildung endete auch meine zeit in der rostocker straße. meine eltern stellten die miet-und unterhaltszahlungen ein, ich versuchte vergeblich sozialhilfe zu beantragen. die vergeblichkeit kam mir nicht ungelegen, ich wollte da nicht unbedingt weiter wohnen und ging nun wieder dorthin, wo ich hingehörte: auf die straße. viele jahre später zog ich in meine gefühlt "erste" eigene wohnung, da ich sie mir selber besorgt hatte und gerne in ihr lebte. umgeben von nachbarn die unbeschreiblich offen und mehr als nett waren. ... link (2 Kommentare) ... comment (758) Donnerstag, 24. April 2014
auf der straße IX / perpetuum mobile
ach annemarie, 18:44h
durch die menschen die ich im meadow kennenlerne gelange ich in die verschiedensten bezirke, wohnungen und lokalitäten.
innerhalb kurzer zeit verbringe ich die eine nacht im wedding bei otto-mühl-anhängern (da habe ich mich rasant fortgemacht), einige andere in einer baghwankommune, aus der ich mit rosa angefärbter wäsche wieder rauspaziere, eine nacht sitze ich in der schlange und höre das erste mal ian dury und verlasse sofort die wohnung, so sehr regen mich die langen haare des inhabers auf. er kommt frisch aus london und hat den koffer voller platten, aber nach dem dury muß ich gehen. irgendetwas in mir ändert sich, ich bin angespannt und aufgeregt. vorfreudig. ich drohe zu platzen. ich suche. die stadt ist grau und bleibt so gleichgültig wie stets, aber hinter ihren wänden wird es bunt, schräg und schnell. ich ziehe für eine kurze zeit nach moabit. ein halbes jahr lerne ich im letteverein werbegraphik; was im nachhinein betrachtet die fortsetzung meiner künstlerischen ausbildung auf scharfenberg war. dort lernte ich einige jahre alles grundsätzliche an techniken, von lithographie, holzschnitt, radierung, kaltnadelradierung, farbenlehre, öl-kreidenmalerei etc., auf dem letteverein gab es das, was mir noch fehlte. ich implodiere vor kreativität, bin im farbenrausch und das zeigt sich auch in meinem äusseren. nichts geht mehr ohne musik, ich hab den punk im ohr, im herz, im bauch. zu beginn sind wir alle ziemlich offen und tolerant; eine meine erinnerungen legt den beginn meiner freundschaft mit jenny in den moment, als sie mir unabsichtlich beim rock´n roll tanzen die nase bricht. wir tanzen im shizzo und ich springe zwischen diesem und der hall die nächte hin und her. einen abend nimmt the angel mich mit ins andere ufer (daß er das war, ist mir eben erst beim schreiben wieder eingefallen), dort fühle ich mich besonders wohl und nach einer portion spaghetti im petit europe trinke ich dort regelmässig einen café oder, wenn´s geld reicht, einen gintonic. inzwischen gibt das mitropa und ich lerne dort alfred und dagmar kennen. die goltzstraße wird später meine heimat, aber vorerst eile ich nur vom alten dschungel zum mitropa, da mir diese straße wie ein ruiniertes gebiß vorkommt und ich habe angst, daß alles im nächsten moment zerfallen könnte. es gibt da eine drogerie, die verkauft selbstgemachte leicht psychodelische puppen, ich spare lange auf eine, aber sonst gab es dort nur grau. ich verliere meine wohnung, ziehe für eine kurze zeit zu betti und mark in die lausitzer straße, ziehe wieder weg und trampe allein durch westeuropa die punx in allen ländern besuchen, heirate pro forma und mache meine erste flugreise. da wir in einem schaumteppich landen, bleibt es meine letzte. wieder in deutschland wohne ich eigentlich bei dagmar in der großgörschenstraße. eigentlich. sie ist nicht aufzutreiben und ziehe mit meinen rucksack etwas verzweifelt über die hauptstraße. im anderen ufer, es ist spät in der nacht, spreche ich mir sympathische jungs an, ob sie mir? obdach geben würden? sie geben und wohnen gleich um die ecke. so lerne ich wolfgang und nikolaus und dann in ihrer küche die musik der tödlichen doris kennen. ich glaube mich zu erinnern, dass ich der mädchenkammer über der küchentüre nächtige....sicher bin ich nicht mehr. ich trage immer eine kette aus bunten plastikperlen und genau so reihen sich die orts-und wohnungswechsel aneinander. die kette ist zerissen und ich kann nur noch einzelne wiederfinden. dass erwin mich eines tages in rasender eifersucht messerschwingend aus dem mitropa jagt, ist so eine; dass ich auf einer party in der hauptsraße 155hh lande und schnell wieder abhaue, weil mir die herren i.pop und d.bowie zu bekokst und vulgär sind (der ganze rest an personen auch); dass ich, dank jenny, die jungs von blurt kennenlerne und, soweit sie in berlin sind, mit ihnen herrlich abhänge; dass ich im dschungel nur tanze, wenn paul sein rotordrehertanzen startet, weil die tanzfläche dadurch sofort frei wird; dass ich in einer wohnung lebe, die keine toilette, heizung oder fliessend wasser hat; dass nach exzessiven konzertbesuchen, mir alle einlasskontrolleure bekannt sind und ich ihnen; dass menschen in der öffentlichkeit vor mir ausspucken, mir die vergasung empfehlen, die herthafrösche uns zu klump hauen; dass ich das stundenlang beim tanzen vergessen kann und dass das leben voll und intensiv und schön ist; das und das und das - ich glaube die kette war mehrreihig. ... link (10 Kommentare) ... comment (732) Sonntag, 6. April 2014
auf der straße VIII / look!! an angel.
ach annemarie, 12:50h
meine erinnerung an ihn ist dicht, kompakt und prägnant.
auch wenn mein mein blick auf das leben noch kindlich war, auch wenn ich ihn vielleicht zu sehr verkläre, ich möchte im nachhinein nichts daran ändern. ein blick auf jemanden ist immer subjektiv, doch ich genieße ihn noch heute, wie eine saftige frucht im hochsommer. hatte ich schulfrei oder ferien wurde ich von den menschen mitgeschwemmt, die mir obdach gaben. war es meine freundin a., wohnte ich in kladow und wir gingen ins ballhaus spandau; die nächte vertanzen. war es die n., wohnte ich auch im norden, in der pichelsdorfer straße, aber wir fuhren meist nach charlottenburg zum ausgehen. einige male landete ich in zehlendorf, dort blieb einem aber nichts übrig als entweder durchzumachen oder daheim zu bleiben, der bezirk war nur gut für autofahrer. wohnte ich bei n. konnte ich auch alleine losziehen und irgendwann müde an die tür klopfen. das war mir am allerliebsten von allen möglichkeiten. ihre mutter war eine sehr bewegte 68erin und das haus stand allen offen. nur achtete ich sehr darauf, die gastfreundschaft nicht zu sehr zu strapazieren und wechselte regelmässig meine schlafstätten. stapfte ich allein und herrlich ungebunden durch die nächte zog es mich meist nach charlottenburg. ins ku-dorf warf ich nur ein einziges mal einen blick, im sound fand ich die musik scheußlich. 1974/75 traf mich wenig ins herz, musikalisch. so wurde der ku-damm mein ausgangspunkt (wie in "roundabout zillemarkt“ beschrieben), nach der episode mit bob war dann aber die gegend um den savignyplatz nicht mehr reizvoll für mich, ich fing an mich den ku-damm "hoch" zu bewegen. inzwischen ist es 1975/76, ich gehe ins tolstefanz und den athenergrill - bitte in einem wort gesprochen - erblicke ende 1976 die ersten 2 punker, die allerdings am kurt-schuhmacher-platz. egal, irgendwann landete ich dann im meadow. kurz bevor der punk mich ergriff und hatte ich den rock´n roll entdeckt und mein ausgehkleid samt zugehörigen schuhen, ist original aus den 50ern und ich falle durchaus auf damit. meine pumps haben bleistiftabsätze aus eisen und damit laufe ich laut klackend durch die gegend. mir eilt ein ruf voraus, ich weiß bis heute nicht genau welcher. schön daran war, daß ich mich dazugesellen konnte, wo auch immer ich das wollte. und nun sitze ich am großen tisch und staune einen jungen an. er sitzt links neben mir, da fällt mein blick nicht so auf. mein erstaunen ist ganz ohne alles - ohne begehr ohne logik ohne bewußtsein. ich sitze neben einer schönheit, die ich nicht trennen kann, zwischen innen und aussen. er ist ein mensch der die helligkeit seiner haut, die glätte und ebenmässigkeit braucht um sein herz zu schützen; seine dunklen, fast schwarzen haare, augenbrauen saugen viel licht, wirken unecht, so stark ist der kontrast. eine symmetrie im antlitz, die mir perfekt vorkommt; vor jahren sah ich ein foto von ihm, er war älter darauf, aber auch dort ist das zu erkennen. der körper - ein mann ohne muskuläre männlichkeit, aber auch mit wenig knabenhaftem. sein lachen. absolut ehrlich bis in die zehenspitzen, was heute eines meiner größten komplimente ist, da ich als autistin in jedem zähnefletschen ein lächeln sah. ihn anzublicken hieß, daß ich in vatermutterbesterfreundundbeste freundin-augen sah. er war immer gut zu mir und er meinte es immer gut mit mir. ich sitze also mit am runden tisch, immer links neben ihm, mit halbberühmtheiten und manches mal mit berühmtheiten. die waren mir ziemlich schnuppe und genau das verband uns. er ist enorm begehrt von mann und frau und dadurch entfernt vom normalen durcheinander der menschen und ich... naja, ich komme sowieso vom anderen stern. ich genieße seine nähe, seine stimme und was er zu sagen hat. mehr will ich nicht. ich glaube, daß er das an mir mochte. um uns herum werden geschäfte und geschäftchen abgewickelt, das meadow ist ja auch ein drogenkaufladen. ich trinke zwar inzwischen alkohol, aber andere drogen verweigere ich. dadurch bin ich wohlgelitten, niemand hat sorge, daß ich etwas abhaben wolle oder mich in die dealerei einmischen werde. wir zwei amüsieren uns; was ich noch an fetzen von erinnerung hervorholen kann ist voll mit innigkeit und voller lachen. ich weiß nicht wo er wohnt und wie oder mit wem, von was er lebt, ob er gerne lebt und wohin er so denkt, ich gehe immer mit anderen vom runden tisch fort und lerne viele wohnungen kennen, lebensweisen, neue musik und lande auch in der berüchtigten hauptstraße bei mr.d.b.; aber das ist eine ganz andere geschichte.... man könnte es eine flüchtig hingehauchte oberflächliche bekanntschaft nennen, aber das war es nicht. in all dem gewimmel und dem selbstpräsentieren war das ein kurze begegnung zweier leute die sich für diesen moment befreunden; wie ein innehalten zum schnappen nach luft, ruhe zum ausstrecken und aus der rolle dehnen. er lebt nicht lang, er stirbt als einer der ersten an den folgen seiner HIV-infektion. ein kurzer aufenthalt unter uns und ich weiß nicht, ob er gemerkt hat, wie schön wir zwei miteinander waren. ich weiß es. ... link (0 Kommentare) ... comment (488) Donnerstag, 13. März 2014
auf der straße VII / roundabout zillemarkt
ach annemarie, 11:08h
zuerst immer einen tee bestellen, einen mit milch bitte,
es gab schmalzstullen, soleier und unregelmäßig auch bouletten, hatte ich lust auf etwas warmes, ging es knappe 50m weiter die bleibtreustrasse hoch und es gab eine pizza auf die hand. manches mal schon freitagabend, normalerweise aber jeden samstag und sonntag, war der zillemarkt mein anlaufpunkt,bis ich montags früh wieder richtung tegelort fuhr man könnte sagen, daß ich mit knappen 16 jahren zu jung war, um durch die nächte zu streunen, aber ich war frei - frei jeglicher regeln und frei aller fürsorge. heute, im blick darauf nach 30 jahren, weiß ich, das war eine phase, in der ich mich sicher wie nie wieder, alleine durch westberlin bewegen konnte. zu beginn war da ein trödelstand am ku-damm; ein ganz bestimmter der vielen die dort in reihen standen und den touristen hübsch verformtes silberbesteck, lederschnüre und plo-tücher anboten. der inhaber war ein mann, den man heute als auf koks/speed oder als reichlich durchgeknallt bezeichnen würde; ich vermute, er war naturstoned. leider weiß ich seinen namen nicht mehr. er war sehr schmal und hatte dünne, dunkle locken, immer einen bartschatten, einen vw-bus und ein aberwitziges verkaufstalent. jeder schlenderer wurde von ihm angesprochen, in ein gespräch verwickelt, zum kaufen überredet und so brachte er seine ziemlich reichhaltige familie durch. mich sprach er auch an und ich wurde nach kurzer zeit von ihm "adoptiert". er war ein mensch zu dem man urvertrauen haben konnte, auch solch ein mißtrauisches wesen wie ich. er gestikulierte wie italiener, sprach rasant, aber verständlich und hatte gewiß sooft über den tellerand geschaut, daß er seinen eigenen nicht mehr erkennen würde. ich erinnere mich an meine traurigkeit, wenn er mal nicht aufgebaut hatte, dann lief ich den ku-damm hoch und runter, weil ich es nicht glauben wollte. eines tages nahm er mich mit in den zillemarkt, stellte mich den stammgästen vor und ich treulose tomate blieb dort kleben. da ich meine tee mit milch nahm, wurde ich der britischen fraktion zugeordnet, was im grunde aber egal war, da sich alle mit fast allen verstanden. ich lernte die übrig gebliebenen perser (bleistreustraße!) kennen, einige, für mich uralt wirkende künstler, viele taxifahrer, eine gruppe von welt-umseglern und den britischen haufen. ich weiß auch nicht mehr genau wie ich es schaffte, mich so zu amüsieren und meist 2 nächte durchzumachen, nur mit tee! ich trank keinen alkohol, nahm keinerlei drogen, einzig der schwarze krauser war mein begleiter. es durfte auch ab und zu eine schachtel juno oder rothändle mit, aber das konnte ich mir meist nicht leisten. die zillemarktgäste waren sehr viel älter als ich und doch fühlten wir uns miteinander wohl. ich verliebte mich in robert m. und er sich in mich, meine erste liebesbeziehung begann. wir bewegten uns rund um den savignyplatz, in der grohlmannstraße wohnten die segler, bei denen gab es ein bier (für mich - einen tee); zogen in den zillemarkt und von dort aus weiter über die kantstraße zum nächsten besuch. es kommt mir so vor, als wären wir unentwegt gelaufen, von einer wohnung in eine bar, dann zu jemanden anderen zu besuch, woanders kurz mal was essen, weiter, weiter und zum schlafen in die leibnitzstraße. dort wohnte bob, auf einer etage mit einem ägypter, der die exotischste wohnungseinrichtung hatte, die je sah. er lebte zusammen mit einer sanften, runden frau, die als stripteasetänzerin arbeitete und mir geduldig meine fragen dazu beantwortete. auch sie kam mir enorm exotisch vor, ich fragte mich insgeheim wie sie das "überstand" und bedauerte sie. ja, ich war noch sehr, sehr unschuldig und trug die arroganz der jugend vor mir her. nach dem üblichen knäckebrot/krabben + earl grey tea frühstück zogen bob und ich wieder los. durch die grauen strassen hin zu einem ort an dem wir musik hören konnten und erfahren, was dies wochenende so los war. grau war besonders die damals sehr ruhige kantstraße, man bedenke, es war am anfang der 70er jahre und berlin war noch nicht durchsaniert. ins grüne ging man nur zu besonderen anlässen, wenn man kinder hatte, zum flohmarkt am klausener platz und seltener zum boulespiel am schloß charlottenburg. bob besaß nicht mal einen kassettenrekorder, geschweige eine anlage, so mussten wir in die bars, kneipen oder zu einem freund, der platten und spieler sein eigen nannte. ein grund zum trinken und einen zum diskutieren fand man immer, die themen wanderten einfach mit uns mit. je später der tag, desto verqualmter und hitziger wurde die stimmung, aber es war immer sehr interessant und hat mir viele neue ansichten/einsichten gezeigt. ich staunte über die weltgewandtheit des freundeskreis, sie waren alle tolerant und offen auf eine art, die mir so danach nicht mehr begegnete. ein jeder hatte schon mal auf der nase gelegen, jeder hatte neu anfangen müssen und alle mühten sich finanziell zu überleben. bob arbeitete, wie fast alle briten, auf dem bau. das ist erwähnenswert, da er klein und zart war und mir ein rätsel, wie sein körper da mithielt. er erzählte mir von den sprüchen und gesprächen der deutschen kollegen, die nicht wussten, daß er gut deutsch verstand. es war durchweg faschistisches gedankengut und das wurde heftigst in unserem kreis besprochen. ich habe eine menge gelernt.... die meisten aus dem zillemarkt müßten heute weit in den 80ern sein; vermutlich sind nicht mehr viele unter uns. ich hoffe, sie hatten ein gutes leben. bob traf ich vor ca. 15 jahren in der u-bahn. ich sah einen alten obdachlosen mann, sah hin und weg, ihn dann doch nochmal genauer an. er war es. ich suchte augenkontakt, aber er vermied das und ich bemerkte aus den augenwinkeln, daß er mich ausgiebig musterte. dann sprang er auf und verließ den waggon. ... link (8 Kommentare) ... comment (1059) Freitag, 14. Februar 2014
und -
ach annemarie, 12:08h
wieso kam ich auf die straße?
abgesehen, daß ich als kleine schon weglief, flüchtete, am liebsten draussen unterwegs war; mit knapp 14 jahren kam ich nach scharfenberg, dem internat für kinder, die nicht mehr zu hause leben konnten. (ich erfuhr ja erst vor einiger zeit, daß das internat die letzte schule war, die mich noch nehmen wollte, konnte, durfte) samstags ging es nach hause, am montag morgen zurück auf die insel. das sollte den familienfrieden wahren.... ich aber saß etliche samstage im treppenhaus und wartete vergeblich auf meine eltern, einen wohnungsschlüssel besaß ich nicht. sie hatten mich wohl vergessen und waren unterwegs. daher fuhr ich irgendwann nicht mehr zu ihnen. (sie meinen bis heute, sie hatten gewartet, ich aber wäre einfach nicht mehr gekommen) die wochenenden verbrachte ich bei mitschülern oder, jedenfalls im sommer, heimlich im internat. da mir niemand grenzen setzte, es keinen in der schule weiter kümmerte, erschien ich immer weniger dort und fing an auf der straße zu leben. am meinem 18. geburtstag fuhr ich ein letztes mal nach tegelort, um mein zeugnis abzuholen. mein vater war auch anwesend und holte meine habseligkeiten. er führte ein gespräch mit mir, und sagte, daß sie mir einen platz auf dem letteverein besorgt hätten und eine kleine wohnung in moabit. als letzte chance, als das letzte was sie für mich täten. ich war baff und nahm das angebot an. eifrig und freudig begann ich die ausbildung zur graphikerin. als punk war ich seit geraumer zeit in ost-berlin unterwegs und wußte wohin, um mich mit den materialien einzudecken, die ich dazu brauchte. die direktorin des lettevereins gab unserer klasse unterricht (schriftkunde) und hasste mich. ich war der erste punk ever dort und ich erinnere mich, wie ich einmal ihren unterricht verlassen mußte, weil sie den anblick von mir nicht ertrug. sie verband das immer mit ungepflegheit und meinte ich wäre zu dreckig. ausgelöst hatten das meine fingernägel, die ich, wenn ein lack abblätterte, sorgfältig mit einem einer anderen farbe ausbesserte. das sah sehr hübsch aus, aber die dame schäumte vor wut. die modeleute und die fotographen fanden mich (besser mein aussehen und meine verschminkung) gut und ich hatte keinerlei anschlußprobleme. ich scheiterte, grandios zwar, mit dem lob einiger lehrer; denen aber nichts übrig blieb, als mich schlecht zu bewerten. ich war gut und phantasievoll, doch immer am thema vorbei. immer. und in dem zweig, der physik und mathematik betraf, nunja, ich konnte damals nicht das 1x1 und weiteres rechnen. das kam erst viel später.... das erste halbjahr ging dem ende entgegen und ich wußte, ich werde so schlecht abschneiden, daß ich nicht weiter lernen dürfte. meine eltern stoppten sofort jegliche zahlungen und mir blieb nichts als der weg zum sozialamt. dort wurde ich abgewiesen, ma und pa hatten es geschafft, denen klarzumachen, daß ich "böswilligerweise" die ausbildung abgebrochen hätte. so ging ich wieder auf die straße und hangelte mich durch die nächsten jahre.... ... link (0 Kommentare) ... comment (503) Sonntag, 9. Februar 2014
auf der strasse VI / bikerkommune am oranienplatz
ach annemarie, 11:02h
nach einem zwischenhalt in der luckauer str. 3, aus der mich die müllberge im hof und die darin lebenden ratten vertrieben, wußte ich nicht mehr wohin.
die luckauer war verknüpft mit j., einem der mehr wollte, als ich geben konnte und ich passte nicht ins besetzerleben. j. kam aus der schweiz, ging mit einer der besetzerinnen zurück, in eine kommune und machte eine großfamilie auf. (ich bin froh, daß dieser kelch elegant an mir vorüberglitt....) eines abends landete ich in der stammkneipe der kreuzberger biker (nicht der rocker) und le chef wollte mit mir trinken. ich hatte die eigenschaft saufen zu können, ohne betrunken zu werden und stand sehr aufrecht am flipper (himmel, wie ich das flippern vermisse!), als er mich zu einem spielerischen boxkampf aufforderte. selber schuld, ich setzte einen schlag und traf sein zwerchfell. der mann kippte um und es gab diese sekunden, in denen er sich entscheiden mußte, ob er sein gesicht wahren konnte. es war ziemlich still in diesem moment. ich meine mich zu erinnern, daß ich lachte, da ich mich über den glückstreffer freute. er entschied aufzustehen und auch zu lachen. ab dem augenblick war ich eine art maskottchen und unter seinen fittichen. diese gruppe fuhr schwere maschinen und hatte eine werkstatt am oranienplatz, gleich um die ecke ihre - hm, ich vermute kommune. dort konnte ich nun schlafen, in einem der etagenbetten war immer platz. sie kamen mir alt vor, wahrscheinlich waren sie alle so mitte der dreissiger, sie wirkten sehr erwachsen. alle arbeiteten, ein sehr ungewöhnlicher lebensstil im so36 der auslaufenden 70er. schliesse ich meine augen, sehe ich ihre gesichter, höre sogar die eine oder andere stimme, weiß aber nicht mehr ihre namen. sie versuchten mich von der straße weg zu halten und rauszufinden, was mit mir ist. hätte ich es es gewußt, ihnen hätte ich es erzählt. die frauen der gemeinschaft guckten am anfang auch wieder skeptisch bis giftig; einer der kerle baggerte, wurde aber in seine schranken verwiesen. ich fühlte mich endlich mal sicher, bis zu dem tag, als einer aus dem turm zu besuch kam. mein häufigster neben-mir-schläfer oder besser über-mich-drüber-roller-ohne-weitere-worte. er wurde sehr hofiert, da er nach einer demo zu einigen jahren gefängnis verurteilt worden war und als politischer gefangener galt. er hatte einen starnimbus und erzählte schwänke aus der knastzeit, während ich am rande saß und ihm am liebsten ins gesicht gekotzt hätte. einen erstaunten seitenblick hatte er für mich, als er dort eintraf, sonst wie gewohnt kein wort. da es danach aussah ein langer heldenabend zu werden, verkrümelte ich mich und kam nie wieder. vor solchen wie ihm hatte ich einfach nur angst. und ich war zu frustriert ihn dort wiederzutreffen, um die situation richtig einzuschätzen. ende der 90er bin ich noch einmal auf die suche gegangen, habe den oranienplatz abgeklappert, aber keine spur mehr von den bikern gefunden. ... link (0 Kommentare) ... comment (483) Freitag, 7. Februar 2014
auf der straße VI / 1979 im turm
ach annemarie, 13:43h
ich trug ein kleid aus kindertagen es spannte um die brust und war übersät mit milimetergroßen blüten
ich lag im schnee und sie gingen an mir vorbei, als würde es mich nicht geben sie aßen käsebrot mit in scheiben geschnittenen knoblauch und schliefen alle in einem raum ich aß mit und ich sang einen winter lang im keller sie drehten ihre verstärker so laut daß ich schreien mußte und an den ersten satz erinnere ich mich noch gut "blutverschmiert lieg ich im schnee -" nachts rollte sich der jeweilige matratzennachbar auf mich und mich hinein und ich dachte das sei der preis den ich zahlen müsste am morgen aber war ich wieder wie nicht existent. wortlos, alle waren wortlos obwohl sie doch mit parolen um sich warfen ich verschwand in ihrer gruppierung und sie nahmen mich fraglos und benutzten mich ich ließ sie denn nichts anderes war ich gewohnt als mit meinem leib zu zahlen an die männer und die frauen waren still schauten giftig ich war noch so jung und verstand nicht. mir war kalt und keiner war im turm ich musste warten und in dieser zeit beschloß ich mich in den schönen schnee zu legen und zu schlafen würde keiner kommen dann eben für immer sie aber kamen und liefen plaudernd an mir vorbei einen hörte ich "kiek ma da die tussi!" sagen ich stand auf und ging. ... link (1 Kommentar) ... comment (522) ... nächste Seite
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herzlichen dank. in all dem streß wegen meines... by ach annemarie (2024.06.16, 09:48) danke sid.
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danke sid. ich brauche noch einige zeit.... by ach annemarie (2024.06.16, 09:43) |