annemarie
Montag, 2. September 2013
ich bin kein kind dieser stadt. (und mein leben ist so kurz wie ein spinnenfurz.)
gestern fuhr ich übers wuhletal bis j.w.d. nach mahlsdorf,
saß lang allein und wurde kurz nach ostkreuz von 3 großen kerlen mit müll beworfen, die diesen auf den sitzen blöd, aber auf mir ganz wunderbar befanden,
saß kleingefaltet, bemüllt, saß und schaute, dachte und suchte und fand es nicht.
mein heimatgefühl.
besuchend und fremd, so fühle ich mich in dieser stadt.
damit nun, passe ich zu der beschreibung des typischen (west-)berliners, der seinen eigen kiez gut kennt, sich nur dort bewegt und nicht über den tellerand des selben schauen mag. und wieder auch nicht, denn ich habe keinen eigenen kiez.

1990/91 befand ich mich in den hackeschen höfen,
eine art fortbildung durchstehen, (eine von der eu finanzierte; für handwerkerinnen und pädagoginnen, das unsinnigste was ich je absolviert habe, aber das ist eine geschichte für sich.),
ich fuhr also jeden tag auf abenteuerlichstem weg in den osten.
kennengelernt habe ich dabei ostgebürtige hardcorelesben, die dann ´92 als es in mölln gebrannt hatte, lautstark beklagten, daß nicht noch weitere ausländer dabei starben. die damen saßen lange im knast, hatten zu ddr-zeiten ein schwieriges leben; ich war entsetzt. leider einer meiner ersten eindrücke, die fortbildung brach ich daher ab....
mit freunden besuchte ich berlinchen, potsdam, namenlose dörfer rundherum und konnte nichts "in besitz" nehmen. wollte ich auch garnicht, denn - wieso sollte ich? entdecken war angesagt, vorsichtig annähern, augen satt gucken und lernen über die grenze zu gehen, ohne angst.
ich hatte ja hausverbot in der ddr und mir hat die eine festnahme samt verhör für den rest meiner tage gereicht.
die stadt berlin wirbelte undurchsichtig in die höhe, voll mit großen bauprojekten, grundstücksver-und käufern, "mega-events", vielen abrupten veränderungen, wie zum beispiel den abriß der mauer.
die mauer als schneise durch zwei sich unterschiedlich entwickelnde kulturkreise, wurde brachial entfernt, was für die, die nach 1961 in diese kulturen hineingeboren wurden, bedeutete sich plötzlich in einer neuen stadt zu befinden.

natürlich lächelte ich die erste zeit jeden trabbi freundlich an, ich hatte keine ahnung, was ihnen für eine lawine folgen würde.
die lawine ist immer noch am rollen.
der lärm hat nie aufgehört, die baulichen maßnahmen ziehen weiter häßlichest hoch, zerstören gewachsenes und vor allem viel von dem grün. da hilft auch kein tempelhofer feld, das auszugleichen.

ich lernte im laufe der zeit etliche menschen kennen, geborene ost-berliner, durch private begegnungen. besuchte sie, besuchte fortbildungen in hellersdorf, veranstaltungen in mitte/f-hain/prenzelberg, ging in dortige geschäfte, zu konnopke; lernte auf einer party in weißensee den rainer p. kennen; der als einziger seiner 3 freunde, den vergeblichen fluchtversuch über die ostsee überlebte; ( das ist auch eine geschichte für sich, seine folter durch die stasi....), aß giechisch, türkisch, indisch, alles mögliche in allen möglichen bezirken, stellte meine bilder in weißensee aus;
kurz gesagt, ich bewegte mich, wie man sich in einer großen stadt so vor sich hin bewegt.
aber gestern in der s-bahn, da sah ich auf einem bahnsteig einen älteren herrn sitzen, den kopf gesenkt, sonntäglich gekleidet.
kurz vor abfahrt meines zuges schaute er auf und schaute mich an.
und ich sah in seinem gesicht meine empfindung.
es ruckte, die türenwarnung blökte und im anrollen wurde mir klar, daß mir etwas klar geworden war.
der schatten der über sein gesicht flog, nur ein moment der skepsis, der fremdheit, der immer-noch-nicht-absolut-begreifens, was sich da rasant, laut entwickelt hat. er hat mich angeschaut, wie man einen touristen anschaut.
ich saß im zug und dachte "ich reise in den osten, ich besuche mahlsdorf. ich könnte auch nach bingen, oberschleißheim, jüterborg oder sonstwohin fahren." daß ich mich innerhalb der stadt befinde, das war mir unmöglich zu begreifen.
naja, rein theoretisch schon, aber das als alltäglich, als selbstverständlich zu mir gehörig zu empfinden - nein.
ich akzeptiere was geschehen ist, bin aber ein wenig traurig; subjektiv und auf mein leben bezogen.

ich beneide die um den mauerfall geborenen berliner, denn sie konnten mit der, sich seitdem im umfang verdoppelten stadt, mitwachsen.
großgeworden, aufgewachsen bin ich in einer stadt, die es nicht mehr gibt.

ps: der besuch in mahlsdorf war bezaubernd. die reise dorthin - allein die tram zu nehmen - ist ein kleines abenteuer. wie ein kind sitze ich darin und staune. tram - das unterscheidet bis heute den west-und ostteil der stadt. im westen gibt es keine.

pps: ich weiß, wieviel zeit vergangen ist, seit dem fall der mauer.
daß ich asperger bin, macht die verarbeitung, inmitten einer epochalen veränderung zu leben, auch nicht einfacher.
und, zeit ist ein spinnenfurz (frei nach albert e.)

myself in many words

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Was hat Ihnen denn damals das Stasi-Verhör und das DDR-Hausverbot eingebracht?

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1976 fing ich an ost-berlin zu besuchen.
ich war neugierig, was sich da hinter der mauer befand, praktisch wand an wand mit meinem zuhause.
(aufgrund eines tips kaufte ich mir beim allerersten "besuch" von dem zwangsumtauschgeld poison-dór-pastellkreiden, die es nur in dort gab. ich habe sie noch heute....aber das nur am rande)
alles lief problemlos, bis ich ab ´77 mich äußerlich veränderte - ich wurde als punk erkennbar.
obwohl alleinreisend und brav, d.h. ich füllte den fragekatalog ehrlich aus, daß ich arbeitslos sei etc., müssen die mich dann beobachtet haben, wie ich versuchte ddr-punker kennenzulernen. und, wie ich vom umtausch lebensmittel kaufte, denn 25dm waren viel geld für mich. (beim verhör warfen sie mir vor, die ddr-bürger zu bestehlen!)
bahnhof friedrichstraße wurde ich festgenommen und irgendwohin gebracht, ich musste mich nackt machen, nicht nur körperlich. stundenlange verhöre, die einfach absurd waren, weil sie mich faktisch nur über mein leben ausquetschten. ich wurde auch in einen raum geführt, wo all mein zeug ausgebreitet lag und beobachtet, wie ich reagiere, wenn sie bestimmte sachen davon genauer untersuchten, wie z.b. die reste einer zellophanhülle einer zigarettenschachtel. heute wirkt das komisch, lustig, aber ich hatte angst, weil ich so etwas überhaupt nicht verstand und nicht wußte, wie es mit mir weitergeht.
irgendwann in frühen morgenstunden hatten sie genug von mir, erklärten mich zur unerwünschten person und warfen mich raus.
die zellophanhülle durfte ich mitnehmen, die lebensmittel nicht.

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Die hielten Sie für eine wandelnde Provokation und obendrein für ein "subversives Element", zumal Sie noch versucht hatten, mit Ost-Punks in Kontakt zu kommen. Hinzu kam, dass Sie arbeitslos waren, wer dort arbeitslos war, galt als "asozial". Und dann waren es auch noch die frühen Jahre des Punks in der DDR.

Punks wurden von DDR-Behörden, allen voran von der Stasi, sehr schickaniert und kriminalisiert. Die Bandbreite reichte von öffentlicher "Aussprache" in Schule oder Betrieb und verhinderten Bildungskarrieren über Berlin-Verbot und Entzug des Personalausweises bis hin zu Jugendwerkhof (geschlossenes Heim mit Horror-Regime) und Stasi-Knast. Mitunter wurden sie aus der Stasi-Haft freigekauft oder in den Westen abgeschoben. Versteht sich von selbst, dass die Stasi in der Punkszene auch mit ihren üblichen Erpressungs- und Zersetzungsmethoden arbeitete. Kein Wunder, dass Sie Angst bekamen, vollkommen zu Recht.

Dass Sie als Westlerin von ihrem Zwangsumtauschgeld - subventionierte - Lebensmittel einkauften, war für die natürlich ein gefundenes Fressen. Damit hatten Sie einen Vorwand für "Zugriff" und "Zuführung". Nur gut, dass Sie aus dem Westen waren und die Sie nicht dort behalten konnten.

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ja, so war es....
ich habe nach dem mauerfall etliche ost-punx kennengelernt, mit kaputter biographie und sprüngen in der seele.
leider haben wir uns alle aus den augen verloren.

mit ihrem letzten satz haben sie absolut recht.

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