annemarie |
Montag, 16. September 2013
die andere seite:
ach annemarie, 18:20h
während ich die ersten getrockneten feigen esse, habe ich den blödesten gedanken des heutigen tages zwar aus meinem kopf verscheucht, dafür aber versetzt mich der geschmack in die küche meiner großeltern mütterlicherseits.
ich war auf einmal in der altbauwohnung am flughafen tempelhof, 2 1/2 zimmer, hinterhof, lande-startanflüge direkt überm dach inklusive. in dieser küche lernte ich schleifen binden, an dem knauf der am küchentisch befestigt war. mit ihm konnte man die emaillewaschschüssel herausziehen. kleinigkeiten, die man nie vergißt.... ich kann zusehen, wie meine großmutter mohrrübenrohkost mit zitrone abschmeckt, derweil großvater mit mir geduldig übt. er ist noch im polizeidienst, kommt er aus der nachtschicht spiele ich mein liebstes spiel mit ihm. ich streue ihm den zucker, der eigentlich in meine morgenmilch gehört, über sein laken, ziehe die decke drüber und freue mich wie bolle, wenn er neben mir ins bett klettert. jedesmal streckt er sich, rekelt sich genüßlich, sagt "ach wie herrlich weich ist doch mein bett! wie glatt und schön ist mein laken!" und ich neben ihm am kichern und lachen. ich glaube, der mann war mit einer enormen langmütigkeit gesegnet. eigentlich hatte ich immer eine kleine hintergründige angst vor ihm, denn ich konnte oft sein verhalten, besonders welches witzig gemeint war, nicht richtig deuten. ausserdem wurde er mir als cholerisches ungeheuer dargestellt, als dominater ehemann und vater. erst auf ihrem sterbebett gab meine großmutter zu, daß eigentlich nur sie alle erziehungsmaßnahmen und restriktionen wollte, die er aufgrund ihres drängens durchzusetzen hatte. sie gab zu, daß sie log und ihre kinder (und enkel) um den weichen kern ihres mannes betrog. und, meine großmutter blieb nazisse bis zum letzten atemzug. ich erfuhr erst sehr spät, daß sie mich nie leiden mochte, mich abartig, unfraulich und undeutsch fand. (als kind habe ich das nicht bemerkt, zähne zeigen war ja für mich immer freundlichkeit. ihre distanz kam mir gelegen, da ich berührungen nicht leiden konnte.) sie mochte eigentlich keine kinder, versuchte aber dem "führer" so viele wie möglich zu gebären. und sie schaffte es bis zu diesem mutterkreuz, auch wenn etliche kinder starben. die, die überlebten hatten es nicht einfach; meine ma, als erstgeborenes mädchen, mußte ihre geschwister großziehen. ihre mutter hatte damit zu tun, neue kinder zu gebären und den kriegsalltag zu organisieren. nach ende des krieges wurde das für meine ma noch intensiver, da großmutter als nazisse angezeigt, vor gericht gestellt und zur trümmerarbeit verurteilt wurde. ma sagt, alles zu recht. mehr möchte sie dazu nicht sagen, leider. großvater war kein normaler soldat gewesen, er mußte in einem spezialkommando der polizei furchtbare dinge tun, die ich mich noch nicht getraut habe, zu recherchieren. zuhause hat er niemals ein wort darüber gesprochen. nach der gefangenschaft kam er zurück und begann zu trinken. oder besser, setzte es fort, denn in seiner einheit bekamen sie immer klaren und cognac in kisten, wie er sagte. heute weiß man, daß das so gewollt war, damit die männer besoffen sind und ihre hemmungen verlieren furchtbares zu tun. sie war die treibende kraft hinter allem, sie fand bis zu ihrem ende alles richtig, was in der nazizeit geschah. so konnte er wahrscheinlich nicht über seine erfahrungen, seine erlebnisse und seine taten (untaten) reden. auch ihn, so wie onkelchen neulich, hätte ich gerne besser kennengelernt; denn er brachte sich mit über 40 jahren das geige spielen bei und er malte. schade, ich habe ihn nie spielen gehört; es ist doch bewundernswert so etwas sich selber beizubringen. ma sagt, er spielte ganz gut. ich weiß von ihm nur, daß er einziges kind extrem strenger eltern war, die ihn dann schwer mißhandelten, als er als kleiner junge musische und künstlerische wünsche äusserte. (seinen eltern war er zu unmännlich, man bedenke, es war so um 1900) den einzigen kompromiß, den er erreichte: er durfte vor dem eintritt in die polizei eine malerlehre absovieren. nicht als kunstmaler, als anstreicher - und dann ab in die kaserne, mann werden. der polizeidienst war in preußen fast wie militärdienst; er tut mir nachträglich leid.... jedenfalls malte er nach dem krieg täglich und auch das hatte er sich selber beigebracht. malte er bei anderen ab, wurde es ein wenig verquer, malte er eigene motive, wurde es wunderschön. ich habe die wohnung von beiden alleine aufgelöst, da fand ich in und hinter allen schränken, in allen ecken und nischen seine bilder und staunte. ich saß inmitten des chaos und hielt immer wieder überraschende ölgemälde in den händen. leider verlor ich sie alle, da mein exmann sie mal eben als "trennungsmüll" entsorgte. (idiot!) (mistkerl!) ich dachte immer, daß er der nazi gewesen sei und meine arme großmutter..... tja, so ist das, wenn man nicht tiefer schaut. ein teil der familie meiner großmutter waren sozialisten und ich weiß nicht wie und ob sie die nazizeit überstanden. es gab wohl den krieg auch innerhalb der familie, mit allen konsequenzen. meine urgroßmutter lernte ich noch kennen - man darf jetzt lachen - ich verknüpfe sie mit der erinnerung an meine erste bewußt wahrgenommene banane, die ich aß. womit ich nun äusserst elegant den bogen zu meinem blöden gedanken von heute spannen kann: wenn mir kalt ist, kann ich keine gurken essen. ich mache jetzt die packung datteln auf - ... comment 489 |
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herzlichen dank.
in all...
herzlichen dank. in all dem streß wegen meines... by ach annemarie (2024.06.16, 09:48) danke sid.
ich brauche...
danke sid. ich brauche noch einige zeit.... by ach annemarie (2024.06.16, 09:43) |