annemarie |
Donnerstag, 13. März 2014
auf der straße VII / roundabout zillemarkt
ach annemarie, 11:08h
zuerst immer einen tee bestellen, einen mit milch bitte,
es gab schmalzstullen, soleier und unregelmäßig auch bouletten, hatte ich lust auf etwas warmes, ging es knappe 50m weiter die bleibtreustrasse hoch und es gab eine pizza auf die hand. manches mal schon freitagabend, normalerweise aber jeden samstag und sonntag, war der zillemarkt mein anlaufpunkt,bis ich montags früh wieder richtung tegelort fuhr man könnte sagen, daß ich mit knappen 16 jahren zu jung war, um durch die nächte zu streunen, aber ich war frei - frei jeglicher regeln und frei aller fürsorge. heute, im blick darauf nach 30 jahren, weiß ich, das war eine phase, in der ich mich sicher wie nie wieder, alleine durch westberlin bewegen konnte. zu beginn war da ein trödelstand am ku-damm; ein ganz bestimmter der vielen die dort in reihen standen und den touristen hübsch verformtes silberbesteck, lederschnüre und plo-tücher anboten. der inhaber war ein mann, den man heute als auf koks/speed oder als reichlich durchgeknallt bezeichnen würde; ich vermute, er war naturstoned. leider weiß ich seinen namen nicht mehr. er war sehr schmal und hatte dünne, dunkle locken, immer einen bartschatten, einen vw-bus und ein aberwitziges verkaufstalent. jeder schlenderer wurde von ihm angesprochen, in ein gespräch verwickelt, zum kaufen überredet und so brachte er seine ziemlich reichhaltige familie durch. mich sprach er auch an und ich wurde nach kurzer zeit von ihm "adoptiert". er war ein mensch zu dem man urvertrauen haben konnte, auch solch ein mißtrauisches wesen wie ich. er gestikulierte wie italiener, sprach rasant, aber verständlich und hatte gewiß sooft über den tellerand geschaut, daß er seinen eigenen nicht mehr erkennen würde. ich erinnere mich an meine traurigkeit, wenn er mal nicht aufgebaut hatte, dann lief ich den ku-damm hoch und runter, weil ich es nicht glauben wollte. eines tages nahm er mich mit in den zillemarkt, stellte mich den stammgästen vor und ich treulose tomate blieb dort kleben. da ich meine tee mit milch nahm, wurde ich der britischen fraktion zugeordnet, was im grunde aber egal war, da sich alle mit fast allen verstanden. ich lernte die übrig gebliebenen perser (bleistreustraße!) kennen, einige, für mich uralt wirkende künstler, viele taxifahrer, eine gruppe von welt-umseglern und den britischen haufen. ich weiß auch nicht mehr genau wie ich es schaffte, mich so zu amüsieren und meist 2 nächte durchzumachen, nur mit tee! ich trank keinen alkohol, nahm keinerlei drogen, einzig der schwarze krauser war mein begleiter. es durfte auch ab und zu eine schachtel juno oder rothändle mit, aber das konnte ich mir meist nicht leisten. die zillemarktgäste waren sehr viel älter als ich und doch fühlten wir uns miteinander wohl. ich verliebte mich in robert m. und er sich in mich, meine erste liebesbeziehung begann. wir bewegten uns rund um den savignyplatz, in der grohlmannstraße wohnten die segler, bei denen gab es ein bier (für mich - einen tee); zogen in den zillemarkt und von dort aus weiter über die kantstraße zum nächsten besuch. es kommt mir so vor, als wären wir unentwegt gelaufen, von einer wohnung in eine bar, dann zu jemanden anderen zu besuch, woanders kurz mal was essen, weiter, weiter und zum schlafen in die leibnitzstraße. dort wohnte bob, auf einer etage mit einem ägypter, der die exotischste wohnungseinrichtung hatte, die je sah. er lebte zusammen mit einer sanften, runden frau, die als stripteasetänzerin arbeitete und mir geduldig meine fragen dazu beantwortete. auch sie kam mir enorm exotisch vor, ich fragte mich insgeheim wie sie das "überstand" und bedauerte sie. ja, ich war noch sehr, sehr unschuldig und trug die arroganz der jugend vor mir her. nach dem üblichen knäckebrot/krabben + earl grey tea frühstück zogen bob und ich wieder los. durch die grauen strassen hin zu einem ort an dem wir musik hören konnten und erfahren, was dies wochenende so los war. grau war besonders die damals sehr ruhige kantstraße, man bedenke, es war am anfang der 70er jahre und berlin war noch nicht durchsaniert. ins grüne ging man nur zu besonderen anlässen, wenn man kinder hatte, zum flohmarkt am klausener platz und seltener zum boulespiel am schloß charlottenburg. bob besaß nicht mal einen kassettenrekorder, geschweige eine anlage, so mussten wir in die bars, kneipen oder zu einem freund, der platten und spieler sein eigen nannte. ein grund zum trinken und einen zum diskutieren fand man immer, die themen wanderten einfach mit uns mit. je später der tag, desto verqualmter und hitziger wurde die stimmung, aber es war immer sehr interessant und hat mir viele neue ansichten/einsichten gezeigt. ich staunte über die weltgewandtheit des freundeskreis, sie waren alle tolerant und offen auf eine art, die mir so danach nicht mehr begegnete. ein jeder hatte schon mal auf der nase gelegen, jeder hatte neu anfangen müssen und alle mühten sich finanziell zu überleben. bob arbeitete, wie fast alle briten, auf dem bau. das ist erwähnenswert, da er klein und zart war und mir ein rätsel, wie sein körper da mithielt. er erzählte mir von den sprüchen und gesprächen der deutschen kollegen, die nicht wussten, daß er gut deutsch verstand. es war durchweg faschistisches gedankengut und das wurde heftigst in unserem kreis besprochen. ich habe eine menge gelernt.... die meisten aus dem zillemarkt müßten heute weit in den 80ern sein; vermutlich sind nicht mehr viele unter uns. ich hoffe, sie hatten ein gutes leben. bob traf ich vor ca. 15 jahren in der u-bahn. ich sah einen alten obdachlosen mann, sah hin und weg, ihn dann doch nochmal genauer an. er war es. ich suchte augenkontakt, aber er vermied das und ich bemerkte aus den augenwinkeln, daß er mich ausgiebig musterte. dann sprang er auf und verließ den waggon. ... comment
heim_weh,
Freitag, 21. März 2014, 10:37
Ein schöner Text, eine schöne Erzählung, eine schöne und auch schwere Zeit. Ich kann nichts weiter dazu sagen, ausser, dass ich das nicht unkommentiert stehen lassen möchte.
:-) ... link
ach annemarie,
Samstag, 22. März 2014, 12:24
danke.
ich habe auch ein bißchen heimweh nach dieser zeit, besser nach ihrer unbeschwertheit. denn in aller schwere, war sie die leichteste und schwer sind alle zeiten. puh. ;o) ... link ... comment
hr.fuenfprozentfrau,
Samstag, 22. März 2014, 18:13
aus dem visuellen Gedächtnis
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ach annemarie,
Samstag, 22. März 2014, 18:41
mir erschließt sich nicht der zusammenhang....auch wenn ich nun lange nachgedacht habe.
könnten sie mich bitte aufklären? ... link
hr.fuenfprozentfrau,
Samstag, 22. März 2014, 19:01
...knappe 50m weiter die bleibtreustrasse hoch und es gab eine pizza auf die hand.....
Wenn Sie dieselbe Stelle gemeint haben?, weiter innen in der Pizzeria waren/sind diese Bilder. ... link
ach annemarie,
Samstag, 22. März 2014, 20:19
ahhh - ich verstehe.
waren die denn schon damals dort zu sehen? ich weiß das nicht, da ich nur die mitnehm-pizza aß.... ... link
hr.fuenfprozentfrau,
Sonntag, 23. März 2014, 10:58
Ich glaube schon. In den ersten Jahren gab es zwar auch bei uns nur die Pizza vom Blech, aber um/nach 1980 war das Ali Baba dann oft der kleinste gemeinsame Nenner nach Kino, Konzert ... bevor es wieder in Richtung Spandau ging.
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ach annemarie,
Sonntag, 23. März 2014, 11:39
ich habe dort niemals etwas im sitzen gegessen;
ab ´78 war ich dann im shizzo, music-hall, dschungel, chaos und O-4, etc. in mir keimt die idee, eine kleine zeitreise zu unternehmen, vielleicht schaue ich dort einfach mal vorbei. und hinein. vorher einen tee im zillemarkt.... ... link ... comment |
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herzlichen dank. in all dem streß wegen meines... by ach annemarie (2024.06.16, 09:48) danke sid.
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