annemarie
Freitag, 11. Juli 2014
kreuzberg erste heimat“ / 1984-89
bevor ich beginne muß ich erst einmal tief luft holen und und meine versuche seßhaft zu werden herauslassen.
diese versuche führten mich durch fast alle west-berliner bezirke,
ich habe nie jemanden getroffen, der sooft wie ich umgezogen ist.
aus mariendorf zog ich in den wedding, nach neukölln, kreuzberg 61, friedenau, britz-süd, schmargendorf, tegel, buckow und auch gleich nach rudow, hermsdorf, spandau, lichterfelde und ein kurzes intermezzo hatte ich in kladow. in so36 gab ich ich mir in einigen wgs kurz die ehre.
allerdings war ich nur mit einem koffer und einigen tüten auf achse; der rest des mobiliars aus moabit war eingelagert.
ich bezog meistens ein zimmer, manchmal auch nur ein bett bei jemanden. es gab einen versuch eine eigene wohnung zu beziehen, diese ist mir hier eine kurze beschreibung wert.

die wohnung, 1 großes zimmer und 2 mit rigipsplatten abgetrennte kammern, lag auf der ecke adalbert/waldemarstraße, im 4.og.
es gab keine heizung, die toilette funktionierte nur wenige monate, dann hieß es improvisieren.
es gab kaltwasser, was für ein glück.
ich war nicht der hauptmieter; wer das war ist mir bis heute nicht bekannt. manches mal hatte ich 2 mitbewohner, die mir ebenfalls unbekannt waren, manches mal nur einen.
ich zog abwechselnd von der einen kammer in die andere und war glücklich, daß es niemand lange aushielt - dann hatte ich die wohnung wieder eine zeitlang für mich.
ich suchte verzweifelt eine eigene wohnung und mir wurde ´84 der tip gegeben, mich bei dem hauswart in der waldemarstraße xx zu melden.
aus dem melden wurde ein abend bei schnaps an mit essen überladenen tischen, ich war in eine türkische großfamilie und das fastenbrechen hineingeraten.
leicht schwankend und total übersättigt schaute ich mir nachts die wohnung an und war begeistert; ein zimmer mit einem ziemlich neuen hochbett, das bad mit wanne, eine küche mit herd und waschbecken. alle räume frisch renoviert und dann die gastherme! ....zum träumen schön.
mustafa, der chef des clans, empfahl der besitzerin an mich zu vermieten und nach einer vorstellung bei der alten dame, die mich streng nach meinen zukunftvorstellungen, meinem arbeitswillen, was mein vater so tat und ähnlichem befragte, kam das ok.
da die wohnung leer stand konnte ich sofort einziehen.
so kam mein kleines kinderregal, mein koffer mit kleidung, meine bücher, ein alter hölzerner schulschreibtisch und etwas geschirr mit mir dort an. eine freundin schenkte mir eine matratze und ich holte das bei meiner omi gelagerte malwerkzeug.
ich war überglücklich, ich erinnere mich, wie ich alles versuchte zu umarmen, sogar die wände, die türen und die erste nacht nahm ich die haustürschlüssel mit ins hochbett.
mit allen sinnen war mir bewußt, daß ich das leben auf der straße und das "herumschlafen" vergangenheit sein würde, daß ich bleiben konnte.
das war auch dadurch möglich, daß das sozialamt die kosten meines lebens bezahlte.
ich war inzwischen körperlich am ende, die letzten jahre "unterwegs" und etliche operationen forderten ihren tribut von mir, ich war auf unterstützung angewiesen.
die ersten sachbearbeiter habe ich erfogreich verdrängt, dann aber wurde ich einer frau h. zugeteilt, der ich bis an das ende meines lebens dankbar sein werde. doch dazu später.
es begann nun eine wunderbare lebenszeit, nicht nur wegen der wohnung. ich wurde von der hauswartsfamilie mit in ihr leben genommen, was dazu führte, daß ich zunahm und mich sicher, ja geborgen fühlte. sie akzeptierten mein enormes rückzugsbedürfnis, meine wechselnden liebhaber, meinen lebenstil - sie akzeptierten mich so wie ich war.
sie lebten in mehreren wohnungen in dem haus und heiratete eines der kinder zog es nach möglichkeit auch in eine freie.
ich freundete mich mit mustafas tochter an, sie war in meinem alter und ein warmherziger mensch. wenn sie kochte und ihr mann, der als asphaltierer massen verschlingen konnte, genug übrig ließ, brachte sie ein töpfchen ins hinterhaus zur der alten dementen frau, um die sich sonst keiner kümmerte. einmal im monat putzte sie auch deren wohnung. mich hatte sie gerne bei sich und fragte mich immer aus; sie wollte alles wissen, von mir, von früher, wie ich gedacht hatte und heute dächte, was ich vorhätte und so weiter. ich glaube, sie war sehr isoliert und ich brachte ihr das leben "draußen" und deutschland näher.
ihr vater lebte schräg über mir, mit einer zweiten ehefrau und 2 gemeinsamen kleinen kindern und einer älteren tochter der zweitfrau und deren erstem mann. ja, das war am anfang auch für mich sehr verwirrend, denn mustafa hatte mit seiner ersten frau 6 kinder, von denen etliche mit ihren familien im haus wohnten.
die ur-mutter war zurück in die türkei gegangen.
die zweitfrau wurde von seinen kindern nur kühl geduldet, am schlimmsten war die situation für die tochter dieser frau. sie klingelte oft bei mir an, um eine zigarette zu erbitten und ein wenig zu reden. es ging ihr meistens nicht gut, aber sie sprach nie direkt darüber, warum das so war. (viel später gestand mir einer der söhne von mustafa, daß alle männlichen familienmitglieder dieses arme mädchen missbraucht hatten. ganz so heile-welt wie ich es sah, war es also nicht.)
links neben mir wohnten 4 türkische männer, alle ohne ihre familien, alle bauarbeiter und konservativ religiös.
da ich alles hörte was sie taten, nahm ich an, daß es anderherum genauso war, aber sie waren immer freundlich und extrem hilfsbereit, trotz meines für sie bestimmt nicht verständlichen lebenstils.
ich fing wieder an zu malen und zu schneidern, kaufte beim trödler das eine oder andere schöne, bekam meine erste eigene pflanze geschenkt und blühte mit ihr zusammen auf.
ganz oben wohnte u., mit mir eine der berliner im haus.
sie hatte einen freund, der so viel jünger als sie war, daß ich zu anfang vermutete es sei ihr sohn.
(ich könnte vom stuhl kippen vor lachen, 30 jahre später erging es mir ebenso....)
sie lieh mir viel politische literatur und verhalf mir zu einem putzjob im stadtteilladen gegenüber.
dort traf ich alte bekannte aus dem turm wieder und mußte mir einiges anhören; ich erinnere mich an eine situation besonders gut:
ich stand nach erfolgreichem putzen an die hauswand gelehnt und rauchte, der boden sollte trocknen und ich musste mich ausruhen. meine krücken lehnten neben mir und ich hielt mein gesicht wohlig in die sonne.
ein typ hielt an, ging rein, kam raus, ging rein - ich hatte ihn erkannt, er mich nicht; er war unsicher, ob des offenen ladens und wer ich war.
ich begrüßte ihn mit namen und dann fiel auch sein groschen.
nach kurzem hallo fing er an mich auszufragen,
(früher habe ich jedem jede frage beantwortet, ich dachte man macht das so),
hörte sich an was ich erzählte und machte mit dann vorwürfe.
wie ich es wagen könnte, vom "scheißstaat" zu leben?
meine replik, mit verweis auf die krücken, ließ ihn zornig werden.
es gäbe das heilehaus, wenn man krank sei und ich bräuchte nicht die miete vom sozi, da ich ja in eine wohngemeinschaft, bzw. in ein besetztes haus ziehen könne.
ich stritt mit ihm, war halb eingeschüchtert halb sauer, schloss den laden zu, ließ ihn stehen und ging nach hause.
kurze zeit später hatte ich hundekot auf meiner türmatte, ertrug nächtliche klingelstürme und es flogen steine in meine fenster.
nicht nur mir erging es so.
an der ecke waldemar-adalbertstraße hatte ein lesbisches paar eine spanische weinhandlung aufgemacht. ich kannte eine der beiden, sie war mit mir auf dem letteverein gewesen.
sie wohnten hinter ihren ladenräumen und mussten dasselbe aushalten und noch einiges mehr. bei ihnen ging es soweit, daß sie regelmäßig überfallen wurden, bis sie schließlich aufgaben, den laden dicht machten und wegzogen.
ich bereute meine naive offenheit und hatte keine ahnung, wie es weitergehen sollte....bis mir meine sachbearbeiterin einen vorschlag machte. sie nahm anteil an meinen bemühungen wieder körperlich fit zu werden und ließ mich durch etliche institutionen laufen, welche mich prüften und testeten. ich hatte ja keine ausbildung und war durch die arthrose nicht für normale jobs geeignet.
so bekam ich das erste mal in meinem leben ein bild meiner fähigkeiten gezeigt, welches mich verblüffte.
frau h. wusste ganz genau, wohin sie mich langsam aber sicher bringen wollte, in eine reha-umschulung.
sie unterstützte mich auch, als ich ihr von den vertreibungsversuchen erzählte und so konnte ich 1989, passend zum beginn der ausbildung, nach schöneberg ziehen.
ich liebte meine wohnung, nachdem mir a. aus dem rauchhaus eine anlage und viele platten geschenkt hatte, konnte ich sogar musik hören. zwar klang es ein wenig wie aus einem telefonhörer, da ich nur eine box hatte, aber immerhin. ja! ein telefon hatte ich auch, mein erstes. meine omi schenkte mir einige möbel und ich hatte ein stück teppich für den steinboden bekommen. mein zimmer lag über der tordurchfahrt und ich hatte immer kalte füße.
am liebsten hätte ich die wohnung als ganzes mitgenommen und die umgebung den fanatikern dort zurückgelassen....
aber ich wusste ja noch nicht, was in berlin 30 schönes auf mich zukommen würde.

in berlin

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Letzte Aktualisierung: 2024.07.27, 13:34
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by sid (2024.07.27, 13:34)
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by ach annemarie (2024.07.24, 19:03)
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herzlichen dank. in all dem streß wegen meines...
by ach annemarie (2024.06.16, 09:48)
danke sid. ich brauche...
danke sid. ich brauche noch einige zeit....
by ach annemarie (2024.06.16, 09:43)
vielen dank.
vielen dank.
by ach annemarie (2024.06.16, 09:42)

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