annemarie |
Sonntag, 21. September 2014
ach. was für ein leben.
ach annemarie, 10:22h
inmitten aller, vorwiegend guten, nachrichten aus meinem vergangen leben traf mich eine in einem nebensatz versteckte, wie eine ohrfeige die einem sofort tränen aus den augen haut.
mein ehemaliger schwiegerpapa ist gestorben. der erste mensch auf diesem planeten, den ich papa nannte. das zwar erst nach vielen jahren und kämpfen, dafür aus tiefstem herzen. bis gestern hatte ich die hoffnung, die sehnsucht ihn wiederzusehen. letztes jahr im winter fing ich an unruhig zu werden, dachte öfter an ihn, holte die 2,3 fotos die ich noch besitze hervor und im januar war er thema in meiner therapie; ich hatte angst davor, daß er sterben würde, ohne daß ich jemals wieder irgendwie kontakt zu ihm haben könnte. nun, im januar ist er gestorben. kennengelernt hatte ich ihn1991, in meiner küche sitzend, barcardy aus einem wasserglas schluckend und hitlers autobahnen lobend. noch unter dem eindruck der brennenden häuser türkischstämmiger landsleute ging ich in position und hielt dagegen. als ich dann meine jüdische vorfahren erwähnte - wurde er plötzlich still. aus dieser stille heraus wurde ich in den nächsten jahren; zur hochzeit kamen meine schwiegereltern nicht; gesiezt und ignoriert. mein exmann (a.) erzählte mir viel über seinen vater, über seine probleme mit ihm, aber auch aus dessen kindheit. geboren im sudetenland, in einer armen bauerfamilie, durfte er nur 4 jahre, und das auch nur sporadisch, zur schule gehen und mußte tägliche mißhandlunger ertragen und die seiner mutter mit ansehen. einmal brach er im winter beim spielen auf einem zugefrorenen see ein und wurde vom vater des nachbarsjungen gerettet. zwischen dem und seinen vater bestand eine fehde und der mann legte das kind in hofeinfahrt und verschwand. der kleine alfred wurde fast zu tode geprügelt, weil er sich vom erzfeind des vaters hat retten lassen. was für eine logik. dann wurde der vater eingezogen und fiel kurze zeit später an einer der kriegsfronten. die mutter mühte sich mit dem hof, aber es herrschte nicht mehr der hausdiktator und so ging es ihnen recht gut. dann die vertreibung. alfred war noch ein kind und konnte seine mutter nicht schützen; sie wurde mehrfach vergewaltigt und alle (es gab noch eine kleine schwester) auf der flucht immer wieder angegriffen und verprügelt. sie wurden nach hessen in ein dorf gebracht, welches sie zutiefst mißtrauisch beäugte und behandelte. aussiedler waren nicht sehr willkommen. er versuchte sich zu integrieren und wurde kumpel unter tage. dann verliebte er sich in die schönste vom dorf und sie sich in ihn. trotz aller widerstände der dörfler, heirateten die beiden. zuerst standesamtlich, um steuerliche vorteile zu erhalten die sonst nicht gewährt worden wären, danach kirchlich. doch, zum ersten kirchgang nach trauung kam es nicht, denn der pfarrer verwies sie vor der gemeinde des hauses, da sie in sünde lebten. alfred hat nie wieder eine kirche betreten. sie bauten ein haus, bekamen drei kinder und alfred prügelte ein zwei mal im jahr die mutter, aber erhob niemals, wirklich nicht ein einziges mal, die hand gegen seine kinder. er trank regelmässig, aber nur wenn er absolut besoffen war, schlug er seine frau. dann gab es ein grubenunglück und er lag fast 2 tage verschüttet unter tage. er hatte bleibende schäden, konnte nicht mehr weiterarbeiten und wurde frührentner. damit kam er nicht gut zurecht, er fühlte sich minderwertig. in sich trug einen enormen haß auf alles slawische, wählte aber (wie ich erst viel später erfuhr) immer die sozialdemokraten. und eines tages präsentiert ihm sein erstgeborener solch eine schwiegertochter! meine schwiegermutter arrangierte sich aber mit mir und wir besuchten sie regelmässig. alfred blieb stur und redete kein wort mit mir; rief ich mal an, legte er wortlos den hörer nieder und holte seine frau. dann gab es einige dokumentationen über die vertreibungen im tv und ich rief an, ließ über meine schwiegermutter ausrichten wann und wo sie sehen sind und fing an, mich intensiv damit zu beschäftigen. in unserer ehe war es bald ein tägliches thema, denn auch a. wollte seinen vater verstehen und wieder - oder überhaupt mal - frieden mit ihm haben. ich schickte die ersten bücher darüber zu ihnen, bis mir bewußt wurde, daß alfred ja kaum lesen konnte. so nahmen wir alles auf, was es darüber zu sehen gab und er nahm wahr, wie interessiert wir kinder an seinem schicksal waren. ein weihnachten besuchten wir sie wieder und alfred stand, wie immer, die nacht über alleine in der garage und trank. wir beredeten eine strategie und a. ging zu ihm, trank (ein wenig) mit und bat ihn, mal seine wenigen fotos zu zeigen und dazu was zu erzählen. das tat alfred auch. gegen morgen kam a.sehr bewegt und berührt zu mir ins bett. soviele worte hatte er noch nie mit seinem vater gesprochen und schon garnicht über diese themen. die feier am tag darauf verlief wie immer, aber als die gäste die tafel verliessen, orderte alfred 2 kümmel, gab mir ein glas und stieß mit mir an. ich verlor jede angst vor ihm und wußte, nun gehöre ich für ihn zur familie. am nächsten tag mussten wir wieder nach berlin fahren. zum abschied nahm er mich in seine arme. er fing an zu weinen und drückte mich wortlos, lange und ziemlich fest. ab da war ich annemariechen und er papa. - wie und was er über a.s neue, kasachische frau dachte, habe ich nicht erfahren. ich habe ihn immer vermißt und viel an ihn gedacht. da die stimmung gegen mich war; meine schwiegermutter verglich mich mit einer kuh, die, wenn sie nicht trächtig werden kann, ja auch zum schlachter muß; traute ich mich nicht dort anzurufen. ich erfuhr nur auf umwegen, wie es ihm so ging. gestern dann, daß er tot ist. - lebwohl alfred. wir haben es beide geschafft über unsere schatten zu springen. ... comment
pastiz,
Montag, 22. September 2014, 23:41
Ihre Geschichte oder vielmehr diejenige Alfreds hat mich sehr berührt. Als ich sie heute morgen las, wollte ich etwas dazu sagen, aber es ging nicht und so begleitete mich die Geschichte Alfreds den ganzen Tag über. Man macht sich ja landläufig wenig Gedanken über Leute, die sich - merkwürdig - verhalten, besonders, wenn noch Gewalt im Spiel ist, ist die "Arschlochschublade" schnell geöffnet und noch viel schneller wieder verschlossen. Verzeihen Sie mir den Kraftausdruck. Aber wen kümmerts schon, wie und warum jemand geworden ist, wie er ist, warum er (oder sie) den Anschluss verloren oder überhaupt nie gefunden hat. Ich mache dabei auch keine Ausnahme. Ich finde, Alfred hat wohl seinen grössten Widersacher überwunden, nämlich sich selbst, als er sich seinem Sohn öffnete. Und nicht nur Alfred, auch Sie selbst und A. haben ihn überwunden, indem Sie sich zu- und nicht abwandten. Es will mir scheinen, dass genau dies die Heldentaten sind, deren wir alle immer ein wenig ermangeln.
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ach annemarie,
Dienstag, 23. September 2014, 20:07
sie beschreiben treffend genau das, was ich von alfred gelernt habe.
widersprüchlichkeit anzunehmen, schwarz-weiß-denken (bei sich selber) zu erkennen und elimenieren, dem herz die führung überlassen, und und und - wenn mir jemand ´91 prophezeit hätte, daß ich diesen mann mal lieben würde...hahaha. was ich wirklich sehr an ihm bewundert habe, ist die tatsache, daß er seine kinder niemals schlug. wir können uns ja nur unter größten mühen ein wenig ändern und alte strukturen bestimmen uns, ob wir wollen oder nicht. da, denke ich, trotz der schläge die er seiner frau antat, da hat er alles gegeben. ... link ... comment |
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Letzte Aktualisierung: 2024.07.27, 13:34 status
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herzlichen dank.
in all...
herzlichen dank. in all dem streß wegen meines... by ach annemarie (2024.06.16, 09:48) danke sid.
ich brauche...
danke sid. ich brauche noch einige zeit.... by ach annemarie (2024.06.16, 09:43) |