annemarie |
Samstag, 5. März 2016
das wird ein langer brief mein freund,
ach annemarie, 15:55h
doch da ich sowieso ununterbrochen in gedanken mit dir rede,
dachte ich mir, mich hinzusetzen und dir zu schreiben, wird mir helfen dich zu verabschieden. am donnerstag um 19:27 rief ich s. an und erfuhr daß du gestorben bist. an das gespräch erinnere ich mich nicht genau, ich habe einen kleinen blauen fleck am kopf, weil ich ihn an den küchenschrank rangehauen habe, ja ich habe auch laut geschrieen und mein kater rannte mir fassunglos um die beine. es holte mich zurück, das arme tier. nun stolpere ich durch die stunden und versuche zu begreifen daß du fort bist. gestern war ich arbeiten und für einige zeit abgelenkt. jedoch als ich die ladentür abschloß, fing ich wieder an zu weinen, haben wir uns doch dort das letzte mal gesehen. wie letztes jahr kamst du zu spät, hast du den laden nicht gefunden; was war ich froh, als ich - mir schon eine jacke anziehend um loszugehen dich zu suchen - deine hand auf der schaufensterscheibe sah und dann dich, wie du völlig fertig angekommen bist. und dann hattest du noch eine schwere tüte angeschleppt, mit meinen töpfen. diese scheißtöpfe, die mich jetzt zum weinen bringen, wenn ich sie nur ansehe. und das muß ich dauernd, da ich meine alten entsorgt habe. und wenn ich sie nicht ansehe, begegnet mir in jedem meiner räume eine gabe von dir. sei es ein stein, eine kerze, ein bild, mein papierkorb, eine decke,.... ja mein schatz, in 30 jahren sammelt sich einiges an. 30 jahre.... jetzt schaue ich auf den buddha aus holz. den, den ich von nils geerbt habe, bei dessen wohnungsauflösung wir uns kennenlernten. wir saßen beide mit gesenktem kopf in der bude rum, weil sich ein paar scheußliche freunde von ihm über die handtücher stritten. ich hob meinen kopf, mit dem gedanken hier schnell zu verschwinden und sah in deine augen. ich kann schlecht in den augen anderer lesen, das aber war eindeutig. wir erhoben uns und gingen. zusammen. seit diesem moment sind wir freunde. wie es das leben so wollte, wohntest du mir gegenüber, ich schaute aus dem 2. stock direkt in dein zimmer im erdgeschoß. wie oft habe ich dich an der nähmaschine sitzen sehen, immer wieder deine langen arme zur musik in die höhe streckend und laut mitsingend. wenn ich lust hatte konnte ich jederzeit zu euch runter und am küchentisch plaudernd meine stunden verbringen. nicht nur ich hatte urvertrauen, dir ging es auch so. da du als pfleger schichtdienst hattest, gingen wir auch unter der woche aus, ins so36 ins schwuz und sonstwohin. aus meiner ehemaligen wohnung in der adalbertststraße bautest du dir mein hochbett ab und das begleitete dich durch alle deine wohnungen, bis heute hast du darauf geschlafen. ich empfinde das als symbolisch für die vernetzung unserer leben und für die nähe, die wir miteinander haben konnten. ´89 begann ich meine umschulung und du hast mich so wundervoll dabei unterstützt, auch indem du nur noch in den ferien mit mir ausgegangen bist. gegen ende der umschulung bahnte sich meine ehe an, du warst begeistert und fandest a. äusserst sexy. dein liebesleben war sehr wild und wir haben von anfang an sehr offen über unserer beiden beziehungen, wünsche und bedürfnisse gesprochen. als wir ergrauten kamen wir dann auch mal auf unsere beziehung, schauten sie uns gemeinsam im rückblick an, spekulierten was wäre wenn.... du nicht schwul wärst und ob freundschaft nur ohne sexualität möglich ist, wie wir uns gegenseitig im schlimmsten trennungsschmerz gestützt haben und - wie wir mit unseren todesnähen und todesängsten umgehen. dabei entdeckten wir, daß wir wie eineiige zwillinge, stetig zur selben zeit gutes odes schlechtes erleben. 1996 änderte sich unser umgang. dieses jahr ist für uns zwei ein umbruch gewesen, du bekamst deine diagnose hiv und ich hatte den unfall. seit dem sommer 1996 können wir beide nicht mehr gut schlafen; du aber hast zurückgesteckt und mich die ersten schweren jahre unterstützt und begleitet. erst als ich wieder wach war, begriff ich was mit dir los ist und konnte dir etwas fürsorge wiedergeben. die trennung von deiner großen liebe, mit deinem rückzug in eine neue wohnung, ach das war schwer für dich. auch gab es die ersten toten in unserem, mehr noch in deinem bekanntenkreis; das ließ dich schwermütig werden. ich hab mich nicht abschrecken lassen, daß du niemanden sehen wolltest, ich versuchte es immer und wieder, auch wenn ich nur für ein paar minuten vorbei kommen durfte. ich respektierte deine selbstgewählte isolation, wollte dich aber nicht ganz allein dadurch gehen lassen. es dauerte jahre bis du wieder lebenslust bekamst. zu den regelmässigen umzügen von a. und mir konnte ich dich locken, du hast jede unserer und auch die jetzige wohnung, mitrenoviert und gestaltet. in die jetzige kamst du schon mit a., ihr beide habt mir geholfen. a. war der beste der dir begegnete, der beste, der dir passierte - so sagtest du das. mein a. und ich waren so glücklich für dich.... und dann war mein a. auf einmal weg und wieder hast deine hände um mich gelegt hast mich gehalten. als ich aus dem gröbsten raus war, hast mir gesagt, daß du dir nicht sicher warst, ob ich das überleben werde. aber du hast nicht lockergelassen, wenn ich niemanden sehen wollte, hast immer gefragt, ob ich etwas gegessen habe und kamst vorbei, auch wenn ich besuch nur für ein paar minuten ertragen konnte. natürlich breche ich hier an meinem schreibtisch zusammen, während ich unsere freundschaft beschreibe. ich muß pausen einlegen und mich von der tastatur fernhalten, damit sie mir nicht mit salz verkrustet. ich weiß aber ganz genau mein liebster, daß dir das gefallen würde. wir beide sind schließlich von nanny fine geprägt; eine anständige trauer hat nun mal theatralisches. (ach, nun kann ich nicht mehr zitate beginnen, weil nur du sie beenden könntest.) wir haben meinen 50en zusammen gefeiert, du sagtest mir, wie stolz du auf mich bist. ich war mehr als stolz und verzaubert, als ich deinen ersten öffentlichen solo-auftritt besuchte und entdeckte, daß deine stimme und bühnenpräsenz starqualität hat. vorher hab ich dich bei den rosa cavalieren im chor hören können, aber das ist nicht zu vergleichen. dann begann dir die luft knapp zu werden. irgendetwas stimmte nicht, du hattest blaue lippen, eine wächserne hautfarbe und als du mich besuchen kamst, hatte ich einen tag später eine nachricht von dir auf dem ab, daß du heute in die charité mußt. ich hatte gerade eine mini-chemo hinter mir, war depressiv und des kämpfens müde, deshalb hattest du mich auch besucht. und, daher hattest du mir deine beschwerden auch verheimlicht. 2012 also eine operation am offenen herzen, mein bruderherz. die op gelang, hatte aber nebenwirkungen. dir blieben narben im hirn, leichte lähmungen, ach was soll ich das alles aufführen - es war ein elend. als du kurz vor der narkose abschied von uns nahmst, stecktest du deinen kopf in meine balkonbrüstung und ich wiegte dich. daran muß ich oft denken, weil wir seit dem wieder eine neue form der beziehung hatten, mehr miteinander schmusten, uns trauten uns nicht nur zur begrüßung in den arm zu nehmen, und das blieb bis zu deinem ende so. wir sagten uns oft wie sehr wir uns lieben. ich bin so glücklich, daß du mich liebtest. du bist mein herzensbruder, eine große liebe in meinem leben, für immer deine p. ps: übrigens, ich renn durch die bude, heule und schrei dir zu, ob du mir nich mal ein sogenanntes zeichen senden könntest. verdammt, denke ich, das ist doch so üblich in großen liebesgeschichten - und da fing ein riesenfeuerwerk an den himmel zu erhellen, ein feuerwerk nur in weiss und ewig lang. danke. ... comment
ach annemarie,
Sonntag, 6. März 2016, 18:48
in schwerin, in hamburg und in hamm werden heute für dich kerzen angezündet.
in kirchen aller konfessionen.... aber das schönste wird ein lichterschiff sein, das in thailand aufs meer gesetzt wird und ein dachziegel, der versehen mit deinem namen, beim bau des wat (tempel) verwendet wird. dein kaddish bekommst du, wie versprochen, von mir. manchmal bin ich still, ganz still innen drin. dann höre ich dich. ... link
ach annemarie,
Dienstag, 8. März 2016, 09:09
hier sind dein tempel und dein dachziegel;
es ist ein wunderbarer ort.... ... link ... comment
onnea,
Sonntag, 6. März 2016, 23:53
Ein schöner Brief, ein Brief voller menschlicher Wärme. Danke
... link ... comment |
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Letzte Aktualisierung: 2024.07.27, 13:34 status
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herzlichen dank.
in all...
herzlichen dank. in all dem streß wegen meines... by ach annemarie (2024.06.16, 09:48) danke sid.
ich brauche...
danke sid. ich brauche noch einige zeit.... by ach annemarie (2024.06.16, 09:43) |