annemarie
Montag, 23. September 2013
herbstputz:
ich sortiere kleidung aus und während ich sie hinter mich schleudere
fällt mir ein, daß ich dringend wieder mein testament aktualisieren muß.
ich gehe, nach dem jeweiligen auffrischen des alten, irgendwie beruhigter durch den alltag.
nachdem sich meine besitztümer verändert haben, möchte ich,
daß auch wirklich alles dort hin gelangt, wo ich es gern hinhaben will.
1000e bücher und vor allem mein ganzes arbeitsmaterial sind sorgsam zu verteilen.
die kreiden, farben und pigmente, das schwere papier, all die spezialstifte;
das sind schon werte, vor allem ideelle.
der rest bleibt "beim alten".
ich mache das wirklich gerne, ich finde es nicht morbide oder so;
nein - mein leben hat mir das so beigebracht.

das erste testament was ich je schrieb, stammt aus dem jahr 1996.
ich weiß nicht warum ich es schrieb und habe das, auch nach endlosem denken,
nie herausgefunden.
ich legte es offen sichtbar auf meinen schreibtisch, sagte meinem pa (als wohnungs-und katzenhüter) wo es sich befindet und wurde in eine blöde diskussion darüber verwickelt.
lustig war auch, daß ich zu diesem zeitpunkt unsere wohnungstür mit blechen und einem querschloß verrammeln ließ.
auch das gegen den widerstand aller männlichen familienmitglieder.
was mußte ich mir anhören....
beides hatte seinen sinn.
einen ziemlich tiefen und ernsten.

das mit der tür war noch "lustig";
als wir wiederkamen, war in den umliegenden wohnungen eingebrochen worden.
es gab banden, die die kassetten aus den altbautüren brachen,
da durch kinder hinein in die wohnung schickten, die alles wertvolle mitnahmen.
ich hab wissend gelächelt, allerdings alleine vor mich hin, denn keiner wollte mehr an die debattierei erinnert werden.
das testament aber, hat meinen pa ganz irre gemacht.
schließlich hätten wir eigentlich sterben müssen; das war uns allen klar;
es war der urlaub, der mit der "begegnung" mit der geisterfahrerin endete.
pa besuchte uns im krankenhaus und fragte gleich nach der wiedersehenszeremonie
wie ich denn bloß dazu gekommen wäre. was den ausschlag gab.
er fragte - warum? warum hast du das geschrieben?
er war ganz aufgeregt und er hat sich dann auch für seine anmache von vorher entschuldigt.
seine fragen konnte ich nicht beantworten.

so, die feder wird dann gleich ins tintenglas gesteckt und los kann es gehen -
´s leben weiter putzen.

mandelkern

... link (0 Kommentare)   ... comment  (490)


Samstag, 21. September 2013
so wohl als ob?
meine oberschenkel fühlen sich wie geplusterte sprintermuskeln an und so laufe ich durch die tage
vitamin-d gedopt harre ich nicht an einem fleck
und das obwohl.
#
ma und pa haben die irlandreise mit links genommen
und ich bin erleichtert sie wieder hier zu wissen.
(pa wurde in heathrow als verdächtig eingestuft und er mußte sich ausziehen. das haben die sicher bereut, er braucht stunden für an+aus.)
#
obwohl ich alt geworden bin,
muß ich mich mit teenagerfragen auseinandersetzen
und das finde ich -
ich weiß nicht.
genau das ist es.
#
meine gedanken machen schmutz und lärmen
anders kann ich sie nicht ausdrücken.
#
ich bin für 360 tage arbeitslosengeld1-empfängerin geworden
ich könnte tief luft holen und mich zurücklehnen.
könnte.
den unterschied zu "normalen" arbeitnehmern entdeckte ich erst gestern, als der bescheid ankam.
ich bin offiziell unfähig mehr als 15 stunden in einer woche zu arbeiten.
alle drängeln mich hin zum verendenrenten
keiner hat verstanden, daß ich mit jeder stunde arbeit wieder fähiger werden würde.
(wozu ihr knallköppe habe ich mir in den letzten jahren den arsch aufgerissen????)
(´tschuldigung)
#
ich weiß, wenn ich meiner müdigkeit nachgeben würde
hätte ich ein großes problem
ich möchte weiter im kampfmodus stehen.
#
ich wünschte
alle menschen hätten solche freunde
wie meine.
#
letzteres ähnelt einem kindergebet.
schön.
#

myself in some words

... link (0 Kommentare)   ... comment  (473)


Montag, 16. September 2013
die andere seite:
während ich die ersten getrockneten feigen esse, habe ich den blödesten gedanken des heutigen tages zwar aus meinem kopf verscheucht, dafür aber versetzt mich der geschmack in die küche meiner großeltern mütterlicherseits.

ich war auf einmal in der altbauwohnung am flughafen tempelhof, 2 1/2 zimmer, hinterhof, lande-startanflüge direkt überm dach inklusive.
in dieser küche lernte ich schleifen binden, an dem knauf der am küchentisch befestigt war. mit ihm konnte man die emaillewaschschüssel herausziehen.
kleinigkeiten, die man nie vergißt....
ich kann zusehen, wie meine großmutter mohrrübenrohkost mit zitrone abschmeckt, derweil großvater mit mir geduldig übt.
er ist noch im polizeidienst, kommt er aus der nachtschicht spiele ich mein liebstes spiel mit ihm.
ich streue ihm den zucker, der eigentlich in meine morgenmilch gehört, über sein laken, ziehe die decke drüber und freue mich wie bolle, wenn er neben mir ins bett klettert.
jedesmal streckt er sich, rekelt sich genüßlich, sagt "ach wie herrlich weich ist doch mein bett! wie glatt und schön ist mein laken!" und ich neben ihm am kichern und lachen.
ich glaube, der mann war mit einer enormen langmütigkeit gesegnet.
eigentlich hatte ich immer eine kleine hintergründige angst vor ihm, denn ich konnte oft sein verhalten, besonders welches witzig gemeint war, nicht richtig deuten.
ausserdem wurde er mir als cholerisches ungeheuer dargestellt, als dominater ehemann und vater.
erst auf ihrem sterbebett gab meine großmutter zu, daß eigentlich nur sie alle erziehungsmaßnahmen und restriktionen wollte, die er aufgrund ihres drängens durchzusetzen hatte.
sie gab zu, daß sie log und ihre kinder (und enkel) um den weichen kern ihres mannes betrog.
und, meine großmutter blieb nazisse bis zum letzten atemzug.
ich erfuhr erst sehr spät, daß sie mich nie leiden mochte, mich abartig, unfraulich und undeutsch fand.
(als kind habe ich das nicht bemerkt, zähne zeigen war ja für mich immer freundlichkeit. ihre distanz kam mir gelegen, da ich berührungen nicht leiden konnte.)
sie mochte eigentlich keine kinder, versuchte aber dem "führer" so viele wie möglich zu gebären. und sie schaffte es bis zu diesem mutterkreuz, auch wenn etliche kinder starben.
die, die überlebten hatten es nicht einfach; meine ma, als erstgeborenes mädchen, mußte ihre geschwister großziehen. ihre mutter hatte damit zu tun, neue kinder zu gebären und den kriegsalltag zu organisieren. nach ende des krieges wurde das für meine ma noch intensiver, da großmutter als nazisse angezeigt, vor gericht gestellt und zur trümmerarbeit verurteilt wurde. ma sagt, alles zu recht. mehr möchte sie dazu nicht sagen, leider.
großvater war kein normaler soldat gewesen, er mußte in einem spezialkommando der polizei furchtbare dinge tun, die ich mich noch nicht getraut habe, zu recherchieren. zuhause hat er niemals ein wort darüber gesprochen.
nach der gefangenschaft kam er zurück und begann zu trinken. oder besser, setzte es fort, denn in seiner einheit bekamen sie immer klaren und cognac in kisten, wie er sagte.
heute weiß man, daß das so gewollt war, damit die männer besoffen sind und ihre hemmungen verlieren furchtbares zu tun.
sie war die treibende kraft hinter allem, sie fand bis zu ihrem ende alles richtig, was in der nazizeit geschah.
so konnte er wahrscheinlich nicht über seine erfahrungen, seine erlebnisse und seine taten (untaten) reden.
auch ihn, so wie onkelchen neulich, hätte ich gerne besser kennengelernt; denn er brachte sich mit über 40 jahren das geige spielen bei und er malte.
schade, ich habe ihn nie spielen gehört; es ist doch bewundernswert so etwas sich selber beizubringen. ma sagt, er spielte ganz gut.
ich weiß von ihm nur, daß er einziges kind extrem strenger eltern war, die ihn dann schwer mißhandelten, als er als kleiner junge musische und künstlerische wünsche äusserte.
(seinen eltern war er zu unmännlich, man bedenke, es war so um 1900)
den einzigen kompromiß, den er erreichte: er durfte vor dem eintritt in die polizei eine malerlehre absovieren.
nicht als kunstmaler, als anstreicher - und dann ab in die kaserne, mann werden.
der polizeidienst war in preußen fast wie militärdienst; er tut mir nachträglich leid....
jedenfalls malte er nach dem krieg täglich und auch das hatte er sich selber beigebracht.
malte er bei anderen ab, wurde es ein wenig verquer, malte er eigene motive, wurde es wunderschön.
ich habe die wohnung von beiden alleine aufgelöst, da fand ich in und hinter allen schränken, in allen ecken und nischen seine bilder und staunte.
ich saß inmitten des chaos und hielt immer wieder überraschende ölgemälde in den händen. leider verlor ich sie alle, da mein exmann sie mal eben als "trennungsmüll" entsorgte.
(idiot!) (mistkerl!)
ich dachte immer, daß er der nazi gewesen sei und meine arme großmutter.....
tja, so ist das, wenn man nicht tiefer schaut.
ein teil der familie meiner großmutter waren sozialisten und ich weiß nicht wie und ob sie die nazizeit überstanden.
es gab wohl den krieg auch innerhalb der familie, mit allen konsequenzen.
meine urgroßmutter lernte ich noch kennen - man darf jetzt lachen - ich verknüpfe sie mit der erinnerung an meine erste bewußt wahrgenommene banane, die ich aß.
womit ich nun äusserst elegant den bogen zu meinem blöden gedanken von heute spannen kann:
wenn mir kalt ist, kann ich keine gurken essen.

ich mache jetzt die packung datteln auf -

myself in many words

... link (0 Kommentare)   ... comment  (495)


Freitag, 13. September 2013
R.I.P.
tschüß Otto Sander!
(werde deinen unschlagbaren humor vermissen; dank pa hab ich den und dich kennenlernen dürfen)

Erich Loest
ein buchstabenwanderer, ein buchstabenwandler.

... link (0 Kommentare)   ... comment  (255)


Montag, 2. September 2013
ich bin kein kind dieser stadt. (und mein leben ist so kurz wie ein spinnenfurz.)
gestern fuhr ich übers wuhletal bis j.w.d. nach mahlsdorf,
saß lang allein und wurde kurz nach ostkreuz von 3 großen kerlen mit müll beworfen, die diesen auf den sitzen blöd, aber auf mir ganz wunderbar befanden,
saß kleingefaltet, bemüllt, saß und schaute, dachte und suchte und fand es nicht.
mein heimatgefühl.
besuchend und fremd, so fühle ich mich in dieser stadt.
damit nun, passe ich zu der beschreibung des typischen (west-)berliners, der seinen eigen kiez gut kennt, sich nur dort bewegt und nicht über den tellerand des selben schauen mag. und wieder auch nicht, denn ich habe keinen eigenen kiez.

1990/91 befand ich mich in den hackeschen höfen,
eine art fortbildung durchstehen, (eine von der eu finanzierte; für handwerkerinnen und pädagoginnen, das unsinnigste was ich je absolviert habe, aber das ist eine geschichte für sich.),
ich fuhr also jeden tag auf abenteuerlichstem weg in den osten.
kennengelernt habe ich dabei ostgebürtige hardcorelesben, die dann ´92 als es in mölln gebrannt hatte, lautstark beklagten, daß nicht noch weitere ausländer dabei starben. die damen saßen lange im knast, hatten zu ddr-zeiten ein schwieriges leben; ich war entsetzt. leider einer meiner ersten eindrücke, die fortbildung brach ich daher ab....
mit freunden besuchte ich berlinchen, potsdam, namenlose dörfer rundherum und konnte nichts "in besitz" nehmen. wollte ich auch garnicht, denn - wieso sollte ich? entdecken war angesagt, vorsichtig annähern, augen satt gucken und lernen über die grenze zu gehen, ohne angst.
ich hatte ja hausverbot in der ddr und mir hat die eine festnahme samt verhör für den rest meiner tage gereicht.
die stadt berlin wirbelte undurchsichtig in die höhe, voll mit großen bauprojekten, grundstücksver-und käufern, "mega-events", vielen abrupten veränderungen, wie zum beispiel den abriß der mauer.
die mauer als schneise durch zwei sich unterschiedlich entwickelnde kulturkreise, wurde brachial entfernt, was für die, die nach 1961 in diese kulturen hineingeboren wurden, bedeutete sich plötzlich in einer neuen stadt zu befinden.

natürlich lächelte ich die erste zeit jeden trabbi freundlich an, ich hatte keine ahnung, was ihnen für eine lawine folgen würde.
die lawine ist immer noch am rollen.
der lärm hat nie aufgehört, die baulichen maßnahmen ziehen weiter häßlichest hoch, zerstören gewachsenes und vor allem viel von dem grün. da hilft auch kein tempelhofer feld, das auszugleichen.

ich lernte im laufe der zeit etliche menschen kennen, geborene ost-berliner, durch private begegnungen. besuchte sie, besuchte fortbildungen in hellersdorf, veranstaltungen in mitte/f-hain/prenzelberg, ging in dortige geschäfte, zu konnopke; lernte auf einer party in weißensee den rainer p. kennen; der als einziger seiner 3 freunde, den vergeblichen fluchtversuch über die ostsee überlebte; ( das ist auch eine geschichte für sich, seine folter durch die stasi....), aß giechisch, türkisch, indisch, alles mögliche in allen möglichen bezirken, stellte meine bilder in weißensee aus;
kurz gesagt, ich bewegte mich, wie man sich in einer großen stadt so vor sich hin bewegt.
aber gestern in der s-bahn, da sah ich auf einem bahnsteig einen älteren herrn sitzen, den kopf gesenkt, sonntäglich gekleidet.
kurz vor abfahrt meines zuges schaute er auf und schaute mich an.
und ich sah in seinem gesicht meine empfindung.
es ruckte, die türenwarnung blökte und im anrollen wurde mir klar, daß mir etwas klar geworden war.
der schatten der über sein gesicht flog, nur ein moment der skepsis, der fremdheit, der immer-noch-nicht-absolut-begreifens, was sich da rasant, laut entwickelt hat. er hat mich angeschaut, wie man einen touristen anschaut.
ich saß im zug und dachte "ich reise in den osten, ich besuche mahlsdorf. ich könnte auch nach bingen, oberschleißheim, jüterborg oder sonstwohin fahren." daß ich mich innerhalb der stadt befinde, das war mir unmöglich zu begreifen.
naja, rein theoretisch schon, aber das als alltäglich, als selbstverständlich zu mir gehörig zu empfinden - nein.
ich akzeptiere was geschehen ist, bin aber ein wenig traurig; subjektiv und auf mein leben bezogen.

ich beneide die um den mauerfall geborenen berliner, denn sie konnten mit der, sich seitdem im umfang verdoppelten stadt, mitwachsen.
großgeworden, aufgewachsen bin ich in einer stadt, die es nicht mehr gibt.

ps: der besuch in mahlsdorf war bezaubernd. die reise dorthin - allein die tram zu nehmen - ist ein kleines abenteuer. wie ein kind sitze ich darin und staune. tram - das unterscheidet bis heute den west-und ostteil der stadt. im westen gibt es keine.

pps: ich weiß, wieviel zeit vergangen ist, seit dem fall der mauer.
daß ich asperger bin, macht die verarbeitung, inmitten einer epochalen veränderung zu leben, auch nicht einfacher.
und, zeit ist ein spinnenfurz (frei nach albert e.)

myself in many words

... link (4 Kommentare)   ... comment  (719)


Samstag, 24. August 2013
es rauscht nur wenn auch blätter hängen -
und das tat es, besonders als wir uns immer mehr in die senke begaben, ganz unten am ausgehobenen grab angekommen, hörte ich nicht mehr was der redner sadalberte, sah zu wie ein jeder sand in die finger nahm, ich vernahm besagtes rauschen und alle weinten.
ich nicht.
manch anderer auch nur nach innen.
dieser moment wenn auch der letzte tschüß murmelte und man steht da mit leeren händen, keine blumen mehr zum festhalten, nur sand unter den nägeln - es ist eine sekunde die atemlos macht.
stillstand.
eigentlich ist das der abschied für immer.
ich dachte dann beim losgehen an meine omi und hatte sofort lust auf kohlehydrate, schüttelte den stillstand fort und sprang mit all meinem gefühl in das, was man dann so tut.
jetzt ist es schon dunkel draussen geworden, ich sitze im licht der ersten kerze dieses sommers, bin satt, bin müde, bin traurig.
gleichzeitig fühle ich lebendiger als ich denke.
mein denken ist schwer und liegt manchmal an einem dummen punkt im gehirn herum, aber der ganze rest von mir, der macht und tut und genießt sogar.
das stückchen schokolade, den rotwein, die befriedigende rauhheit der hände nach dem abwasch, das schnurren vom herrn katz.
gelassen bestieg ich heute einen weiteren berg papier, ich bin wiedermal dabei mich nackt zu machen, um arbeitslosengeld zu erhalten. oder sonst irgendwas. krankenversichert möchte ich unbedingt sein.
und schwupps - da ist wieder das thema! ach tod, du mistkerl, denke ich, ich weiß daß du hinter jeglicher ecke lauerst, aber du kannst mich mal. ich darf das sagen, ich kenne dich gut.
zu gut.
noch hängen die blätter, aber blitzt schon das gelb.

myself in many words

... link (1 Kommentar)   ... comment  (572)


Freitag, 23. August 2013
heute:
beerdigt.

myself-in-one-word

... link (1 Kommentar)   ... comment  (532)


Montag, 5. August 2013
abschied III
05.08.2003
10 jahre ohne meine kleine omi.

kurz vor ihrem 99en geburtstag starb sie, friedlich und nach einem abschiednehmen, was uns alle verblüffte (und erfreute), da sie mit multiplem organversagen schon im koma lag.
a. kam von der arbeit und wir fuhren halsbrecherisch schnell ins krankenhaus.
als wir in ihr zimmer traten, ich sie ansprach, öffnete sie die augen und lächelte, krächzte leise unsere namen und streckte ihre hände nach uns.
so saßen wir einige zeit und hielten sie, auf jeder seite einer.
sie schloß die augen und wir drei waren still.
ihr atem wurde ruhig und langsam.
vorsichtig lösten wir die hände und wollten uns hinausschleichen - da schlug sie wieder die augen auf, ich sagte "tschüß omi" sie lächelte und sie winkte, schwach aber als winken erkennbar mit einer hand, bis ich um den türrahmen herum gegangen war.
eine stunde später hörte sie auf zu atmen.
 
 
 
2001 in unserem garten. sie hat noch fleissig zeitungen gelesen, war geistig sehr fit, mit 97!

mandelkern

... link (0 Kommentare)   ... comment  (367)


Montag, 15. Juli 2013
abschied II
zwischen zwei happen grünen curry sagte mir pa, daß der onkel heute morgen gestorben sei.
aß weiter.
ma guckte, aß weiter.
mir hingen die glasnudeln aus dem mund.
ich konnte nicht weiteressen.
die beiden waren fertig und lehnten sich zurück - in erwartung meiner fragen?
ja, obwohl unwillig, weil eigentlich ginge mich das nichts an, hielten sie es für nötig, mir das mitzuteilen und waren bereit ein wenig darüber zu reden.
abgesehen davon, daß pa von "den hinterbliebenen" sprach und ich ihn daran erinnerte, daß das sein bruder sei, nein war, möchte ich nichts über die umstände seines todes schreiben.
meine fragen wurde beantwortet und ich würde mir die fingerkuppen flach tippen, wenn ich nur anfinge darüber zu schreiben....
ich lief nach dem essen langsam zu mir nach hause und versuchte beides zu verarbeiten, nu - eigentlich erst einmal zu begreifen.
die art und weise, wie meine (leiblichen!) eltern uns zwei kinder als nicht zugehörig zur familie behandeln, immer und immer wieder.
und das onkel w. nun nicht mehr lebt.

onkel w. war das älteste von 4 kindern, wurde studienrat wie sein vater, heiratete eine sehr viel ältere frau und führte dann mit ihr eine kosmetikerschule. sie hatten keine kinder.
das alles trug wohl nicht zum familienfrieden bei, aber mein opa war dann tot und es wurde nicht mehr darüber gesprochen.
ich denke, weil auch seine geschwister nicht unbedingt zeitkonforme lebenstile pflegten.

als kind erinnere ich mich, ihn als eine art eule gesehen zu haben; einen kleiner mann mit schwarzem wenigen haar, wenigen worten und einer enormen brille, auch schwarz. seine frau überragte ihn kühl und blond, immer perfekt überschminkt und so behangen mit gold, daß man denken könnte, sie kippt gleich vorne über.
ein kinderhassender dackel lief stets an ihrer seite.
für mich gab es teure steife puppen, die ich sofort auseinandernahm. einmal, zweimal; jeweils zu weihnachten und dann tauchten die beiden auch dabei nicht mehr auf.
nach langem überlegen komme ich auf 10 bis 12 begegnungen in unserem leben.
das letzte mal verweigerte er mir hartnäckig das du und siezte mich durchgehend, machte einen diener zum abschied - das tat weh.
dazu muß ich erkären, ich bin seine einzige nichte, der einzige neffe ist mein bruder. es gibt die 3 geschwister, es gab noch eine cousine, 25 jahre jünger als ich, aber vor einigen jahren, mit 20, brachte sie sich um.
da ist noch eine großcousine plus mann und kind.
das war es.
(hätte es die nazizeit nicht gegeben, dann würde ich erstens diese zeilen nicht schreiben und zweitens in einem riesentrumm an familie verschwinden.... aber vielleicht wäre es dann auch nicht nötig gewesen, für mich, auf die welt zu kommen.
hätte, wäre, würde, könnte.
es gab sie aber und so stirbt nun dieser familienbaum ab.)
eine handvoll personen, in alle winde zerstreut lebend.
es ist nicht so, daß nur ma und pa keinen zusammenhalt wünschen, sie alle leben am liebsten in distanz zu allen und allem.

ich trauere.
ich trauere um die verlorenen chancen sich kennzulernen.
um nie mehr stattfindene versuche so etwas wie ein familiengefühl zu entwickeln.
ich trauere; weil mein pa sein eigene trauer so tief in sich verbirgt, daß er sie nicht wiederfindet.
sein lächeln ist schief, seine augen die eines erstaunten kindes - das anzusehen macht mich sehr traurig.
ich trauere, weil der tod meines onkels mich einen schritt weiter an meinen tod führt.
der, sollte ich lange genug leben, der des letzten mitgliedes dieser familie sein wird.
familie?
irgendwie schon.
die sehnsucht läßt mich doch trauern!
ich hätte onkel w. so gerne onkelchen genannt.
gelacht und gestritten, gelangweilt zugehört, mir geschenke für ihn ausgedacht. ihn geärgert und mich von ihm trösten lassen.
seinen geruch beim hallo!-sagen eingespeichert.
ach, so vieles noch... nie mehr.
die unnahbarkeit und unerreichbarkeit meiner familienangehörigen läßt mich zweifeln.
sogar mir als ein asperger ist diese kälte und distanz zuviel.
man hat familie und hat sie überhaupt nicht;
eine papierne familie, geschrieben, lesbar, aber nicht lebendig.

ach, onkelchen.
ich hätte dich gerne einmal im leben in den arm genommen und wünschte, du mich auch.
wir hätten beide etwas sehr schönes davon gehabt.
ruhe in frieden.

mandelkern

... link (1 Kommentar)   ... comment  (482)


Freitag, 12. Juli 2013
abschied I
gestern legte er mir das letzte mal seine riesigen hände an meine wangen.
vorher fuhrwerkten sie in meinem mund und - es ist, wie immer, alles in ordnung.
mit unfaßbaren 70 jahren hört er nun damit auf.
absehbar war es und ich dachte oft nach, wann es soweit sei.... verließ aber die praxis unter schock, daß es nun wirklich soweit ist.
ich verließ sie, ohne meine jacke, brille und tasche, so verwirrt war ich.

als ich zu ihm kam, war ich ein haufen elend.
ein traumatisiertes, zitterndes etwas, was nur aus angst bestand.
beim ersten termin hatte er eine alte dame auf seinem stuhl, die keine narkose vertrug, wegen herzproblemen, und deren wimmern und stöhnen den warteraum füllte.
flucht, das war mein einzig streben.
aber dann kam er in den raum, setzte sich neben mich und erklärte mir die situation, nahm das erste mal mit seinen enormen händen meine und sagte, wie leid es ihm tue, daß ich das mitanhören musste. ob ich denn jetzt trotzdem beginnen möchte?
ich wollte.
er wußte über den frisch passierten "unfall" und wollte das abenteur wagen, mich zu behandeln.
da lag ich mit zerstörtem kiefergelenk, angst vor lauten geräuschen, vor ärzten, vor situationen aus denen ich nicht herauslaufen kann und mein damaliger mann durfte meine füße halten, die beiden assistentinnen, r. und c., hielten jeweils eine hand.
andere patienten waren in der anfangsphase meiner behandlung nicht anwesend; diese zeit hatte er so eingerichtet, daß er in aller ruhe, mit all dem pausen, die ich brauchte, arbeiten konnte, ohne daß es stressig werden würde.
es mußte viel gemacht werden; an zähne dachte ich vorher wenig, ich hatte genug mit überleben zu tun.
ich weiß nicht mehr, wieviele monate ich brauchte um vertrauen zu fassen; immer wieder bot er an, die behandlung zu unterbrechen, falls ich nicht mehr könne; das gab mir das gefühl, daß ich doch weglaufen könnte, wenn ich es denn garnicht mehr durchhielte.
und so brauchte ich nicht davonlaufen.
es normalisierten sich die termine, aber immer blieb die vorsicht und diese fast zärtlich zu nennende einfühlsamkeit dabei.
die beiden ladys schafften es mich zum lachen zu bewegen; es herrschte eine angenehme stimmung in dieser praxis, da es seine philosophie war, freude am und beim arbeiten zu haben.
so fuhr er einmal im jahr mit seinem team zusammen in einen urlaub, es gab keine hightechapparate aber immer echte gute laune, warten war nie angesagt, es sei denn ein notfall kam herein, die sprechzeiten waren kurz und nie überfüllt.
man lernte sich kennen, im laufe der jahre....

dann kam die trennung und wieder war ich nur noch ein haufen.
wieder hatte ich angst, eine andere, aber auch die alten ängste waren wieder hervorgekrochen.
ich traute mich kaum einen termin auszumachen, auch weil ich nun alleine kommen würde.
ach.
ich kam dort an und es war wie ganz zu beginn, kein anderer patient mehr dort und sie sagten, es käme auch keiner mehr nach mir.
dann redeten wir.
dann nahmen sie mich in die arme.
ich, steif und knurrig, in dem versuch meine gefühle zu verbergen, konnte garnicht anders als zu weinen.
die drei erzählten auch von sich (im nachhinein erst erkannte ich das große vertrauen, das mitgefühl) und schafften es, daß ich mich wohl, aufgehoben und getröstet fühlte.
behandelt wurde ich, glaube ich zumindest, auch.
und wieder vergingen die jahre, in denen diese drei menschen mich herzlich und liebevoll begleiteten, bis ich aus dem schlimmsten heraus war - was sage ich! - bis heute habe ich freude zu meinem zahnarzt zu gehen.
ich werde sie vermissen.
ich schwanke zwischen weinen und der freude, daß ich dort gelandet bin.

mandelkern

... link (6 Kommentare)   ... comment  (471)


Online seit 5999 Tagen
Letzte Aktualisierung: 2025.06.19, 14:19
status
Menu
post
achannemarieatgmx.de
Letzte Änderungen
innerlich gehe ich auseinander...
innerlich gehe ich auseinander und finde mich in dem...
by ach annemarie (2025.06.19, 14:04)
Das freut mich sehr! Willkommen...
Das freut mich sehr! Willkommen zurück!
by sid (2025.06.18, 11:29)
dort gewesen
und da bin ich wieder.
by ach annemarie (2025.06.15, 13:47)

by sid (2024.07.27, 13:34)
trauer
das finale bild und gefühl zu meinem vater ist...
by ach annemarie (2024.07.24, 19:03)

xml version of this page

made with antville